Die SPD ist, wie auch die CDU, mit dem Versprechen eines sogenannten „On Demand“-Verkehrs (ODVs) für Idstein in den Wahlkampf 2021 gegangen. Verkürzt verbirgt sich dahinter das durchaus charmante Konzept eines Bussystems, das so eine Art „Rufbus ohne feste Linien, Zeiten und Haltestellen“ darstellt. Taunusstein und Limburg probieren dieses System bereits aus, bei dem ein dichtes Netz aus virtuellen Haltestellen von Bussen angefahren wird, die bei Bedarf bestellt werden können und in einem angenehm geringen Zeitfenster bei der nächstgelegenen virtuellen Haltestelle bestiegen werden können. Der Bus fährt einen dann, ggf. nach Aufnahme weiterer Passagiere, die einen Teil der Strecke gemeinsam haben, bis zur virtuellen Haltestelle, die dem Zielort am nächsten gelegen ist.
So weit, so attraktiv – vor allem in Zeiten, in denen die Linienbusse nicht oder selten fahren. D.h. vor allem auch in den Ortsteilen, von denen einer (Ehrenbach) ab dem nächsten Fahrplanwechsel durch genau gar keine Linienbuslinie mehr angebunden sein wird.
Nun haben aber beide Parteien, SPD wie CDU, verabsäumt, nach der Wahl auch wirklich schnell an die Umsetzung des Wahlversprechens zu gehen. Bereits in 2020 war die Neuausrichtung der bestehenden Stadtbuslinien, mit einigem analytischen Aufwand und nach externer Beratung durch Verkehrsfachleute, durch die damalige Stadtverordnetenversammlung beschlossen worden. Daß mit der Fahrplanumstellung Mitte Dezember 2022 die Stadtbuslinien in der Kernstadt neu vergeben worden sein müssen, hätte eigentlich allen Fraktionen bekannt sein dürfen. Auch, daß es so etwas wie Ausschreibungsfristen gibt, ist nun wirklich kein Spezialwissen. Und so haben wir von der ULI uns schon seit dem späten Frühjahr, zunehmend irritiert, gefragt, wann denn wohl eine der beiden Parteien einen entsprechenden Antrag vorlegen würde – denn das dafür verfügbare Zeitfenster schloß sich rasend schnell, und einen eigenen Antrag vorzulegen hat die ULI, nach reiflicher Überlegung, aus politischem Anstand verworfen: Man geht nicht mit dem Wahlprogrammpunkt anderer „hausieren“.
On-Demand-Verkehr
Die Vorteile des on-Demand-Verkehrs sind vielfältig: Er ist spontan und digital buchbar, liefern Echtzeitinformationen über die Bewegung des Fahrzeugs und bietet durch eine Vielzahl von Haltepunkten einen sehr flexiblen Ein- und Ausstieg. Zunehmend werden auch autonome Kleinbusse erprobt, um durch den Wegfall des Fahrers potenziell Kosten sparen zu können. In Kombination mit Apps, die Informationen zu Umstiegen, Wartezeiten und Anschlüssen liefern, erhalten besonders ländliche und suburbane ÖPNV-Kunden durch On-Demand-Verkehre eine Möglichkeit, die letzte Meile zurückzulegen
Virtuelle Haltestelle
Eine virtuelle Haltestelle hat kein festes Schild, keine Bank oder Dach, wie man es von normalen Haltestellen kennt. Sie existiert nur im Datensystem.
Die virtuellen Haltestellen macht es dem Algorithmus leichter, Fahrgäste für eine Fahrt zusammenzuführen, denn sie werden ergänzend zu bereits existierenden „echten” Haltepunkten angelegt, um Fahrgäste von zusätzlichen, im Betriebsgebiet festgelegten Stationen abholen und absetzen zu können. Diese Haltestellen sind meistens so verteilt, dass sie nur wenige Gehminuten vom Ausgangspunkt des Fahrgastes entfernt und leicht zu finden sind.
So kam es zu dem bemerkenswerten Vorgehen der SPD, den ODV für Idstein-Kern über den Magistrat einzubringen, wo der Vorschlag jedoch mit sehr deutlicher Mehrheit dagegen durchfiel. Alle politischen Gepflogenheiten ignorierend, brachte die Fraktion der SPD den Antrag jedoch einfach nochmal in die politischen Gremien ein. Mittlerweile auf den buchstäblich „letzten Drücker“ – und mitnichten als eigenes ausgearbeitetes Konzept, sondern als den Vorschlag, den der Betreiber, die Rheingau-Taunus Verkehrsgesellschaft mbH (RTV) selbst unterbreitet hat. Mithin ein Konzept, das vollständig aus der Sicht eines privatwirtschaftlichen Unternehmens entwickelt wurde.
Das ist legitim für eine derartige GmbH, sollte aber natürlich nicht die Hauptperspektive der Kommunalpolitik sein: Der öffentliche Personennahverkehr ist als Aufgabe der sog. Daseinsfürsorge zu sehen und muß daher natürlich berücksichtigen, daß solche Maßnahmen gemeinhin nicht, schon gar nicht primär, nach rein wirtschaftlichen Aspekten beurteilt werden können. Die infrastrukturelle Versorgung der Bevölkerung kostet nun mal etwas – wie uns ja beim Thema „Tournesol“ bis zum Abwinken gepredigt wurde (auch ein Schwimmbad kann in Kommunen wie unserer unter dem Gesichtspunkt der Daseinsfürsorge gesehen werden).
Leider hat die Antragstellerin SPD in den jeweils mehrstündigen Sitzungen zum Thema, eine davon kurz vor Weihnachten noch extra als Sondersitzung einberufen, leider überhaupt nichts zur der mühevollen Diskussion beigetragen, in der außer unserem KUBA-Mitglied Dr. Birgit Anderegg vornehmlich Peter Zimmer (CDU) und Patrick Enge (Bündnis 90/Die Grünen) darum gerungen haben, aus der guten Idee des ODV auch einen guten Antrag für eine gute ÖPNV-Lösung für Idstein werden zu lassen.
Am Ende hätte es eine Lösung geben können, die dem ODV die Chance gegeben hätte, die er verdient hat: Auch ohne vorherige Analyse der Akzeptanzparameter der Fahrgäste langsam zu wachsen und sich stetig zu etablieren, durch sensibles Nachjustieren der Stellschrauben in einer mehrjährigen Testphase, die jedoch nicht die Qualität der gesamten Busversorgung in Idstein-Kern beeinträchtigt, egal, wieviele Kinderkrankheiten das System erwartbarer- und natürlicherweise mitbringen mag.
ULI und Bündnis 90/Die Grünen haben dies mit einem entsprechenden gemeinsamen Änderungsantrag angestrebt, eben gerade weil der ODV eine Chance haben soll, schon, um ihn auch so bald wie möglich in die Ortsteile zu bringen, wo er sein volles Potential viel eher entfalten kann als in der Kernstadt.
Statt also die ÖPNV-Grundversorgung bei dem bewährten System des Linienbusverkehrs zu belassen, der durch ODV ergänzt wird, stützte die Mehrheit aus CDU, SPD und FWG am Ende den von der SPD vorgeschlagenen Paradigmenwechsel. Die Kernstadt wird nun also ab Mitte Dezember grundsätzlich vom ODV bedient, der andernorts aus sehr guten Gründen zunächst eine Pilotphase durchläuft. Idstein jedoch setzt voll und ganz auf ODV als Rückgrat der Busverbindungen in der Kernstadt, nur in den Stoßzeiten durch einen Linienverkehr ergänzt.
Dieses schlecht kalkulierte Risiko birgt die Gefahr in sich, nicht ausreichend gut zu funktionieren. Damit ist schon heute absehbar, daß es leider eine gute Wahrscheinlichkeit dafür gibt, daß nach der Ausschreibungsphase von 4 Jahren das gesamte System als ungeeignet beurteilt wird und es daher nie dorthin schafft, wo es hingehört: in die Ortsteile.
Insofern ist umso erfreulicher, daß wir es zumindest geschafft haben, mit unserem Änderungsantrag zu bewirken, daß schon jetzt für sämtliche Ortsteile Idsteins geprüft wird, welche finanziellen und logistischen Anforderungen ihre Anbindung an den ODV stellen würde.
Es bleibt so die Hoffnung, daß eine solche Ortsteilanbindung weniger mit der heißen Nadel unter Zeitdruck genäht werden muß und eine politische Entscheidung nicht wieder ohne tragfähige Fakten- und Datenbasis getroffen wird.
Denn Politik sollte nicht zum Erfüllungsgehilfen privatwirtschaftlicher Unternehmen werden, wie es hier leider geschehen ist, da – wie die CDU es ausdrückte – eine Entscheidung getroffen wurde, die sich auf die fachliche Expertise der RTV verläßt; trotzdem viele Schwachstellen und Lücken von den Mandatsträger:innen erkannt, benannt und sogar mit Heilungsoptionen versehen wurden.
Tatsache ist doch, dass ein bestehender, gut angenommener Stadtbusverkehr erhalten bleiben muss. Der On-demand Bus sollte ein tolles zusätzliches Angebot darstellen. Für Menschen, die eher analog unterwegs sind, stellt die Anmeldung einer gewünschten Fahrt zunächst einmal eine Hürde dar.
Liebe ULIs,
die Ausführungen zum Zustandekommen des Antrags der SPD sind falsch, und damit geht auch der Vorwurf, „alle politischen Gepflogenheiten ignoriert“ zu haben, ins Leere.
Die im Magistrat gescheiterte Vorlage kam aus der Verwaltung und nicht von der SPD. Dass sie auf einem Vorschlag der Rheingau-Taunus-Verkehrsgesellschaft GmbH (RTV) beruhte, ist völlig normal, ja sogar zwingend: Der ÖPNV ist in Hessen gesetzlich der kommunalen Ebene zugeordnet, und zwar (mit Ausnahme der Städte über 50.000 Einw.) den Kreisen. Das Land hatte ursprünglich (1995) zwingend vorgegeben, sogenannte Lokale Nahverkehrsgesellschaften (LNG) zu gründen, was auch im Rheingau-Taunus-Kreis geschah. So entstand die RTV. Inzwischen ist der Kreis alleiniger Gesellschafter. Somit nimmt die LNG RTV GmbH genau die Daseinsvorsorge wahr, die in Ihrem Artikel beschrieben und befürwortet wird. Mit einem „privatwirtschaftlichen Unternehmen“ hat das – außer bezüglich der Rechtsform GmbH – nichts zu tun. Gewinne werden dort übrigens – wie für den ÖPNV typisch – nicht erzielt. Das Defizit muss der Kreis decken.
Dass die SPD die im Magistrat gescheiterte Vorlage als Grundlage für ihren Antrag an die Stadtverordnetenversammlung genommen hat, ist deshalb nur folgerichtig und in keiner Weise verwerflich.
Sehr geehrter Erster Stadtrat –
Danke für Ihre elaborierten Ausführungen zu einem – aus unserer Sicht – nebengeordneten Halbsatz unseres Blogposts.
Wir nehmen zur Kenntnis, daß Sie zum eigentlichen Thema des Posts keine weiteren Anmerkungen haben, nämlich zu dem für Idstein unpassend aufgesetzen Konzept und seinen Risiken, zumal für die Ortsteile.
In dieser Kritik sind wir aber ja auch mit der Fraktion Ihrer Partei Bündnis 90/Die Grünen einig, wie der gemeinsame Versuch von ULI und Grünen gezeigt hat, mit dem Änderungsantrag unserer beiden Fraktionen wenigstens die größten Risiken zu heilen.