Auf ein Wort… Frau Sachse-Domschke und Herr Pfarrer Eisele (Teil 1)

Identifikation mit dem eigenen Quartier, dem Straßenzug oder dem Dorf, in dem man wohnt, beginnt damit, die reine Konsumentenhaltung aufzugeben und an ihre Stelle ein aktives „Ja“ zu eigener Teilhabe zu setzen – diese Überzeugung zur Gestaltung von Dorf- und Quartierszukunft treibt nicht nur die ULI an, sondern auch unsere heutigen Gesprächspartner mit kirchlichem Hintergrund, Karla Sachse-Domschke und Pfarrer Markus Eisele, die Initiatoren von Quartier 4.

ULI: Quartier 4 hat sich auf die Fahnen geschrieben, gerade im dörflichen Raum die Herausforderungen und Aufgaben, vor die die demografische Entwicklung uns alle stellt, aktiv zu adressieren. So will Quartier 4 eine trag- und zukunftsfähige Basis für ein möglichst gutes Lebensumfeld für möglichst viele schaffen und sein.

Frau Sachse-Domschke, Herr Pfarrer Eisele, was macht ein solches gutes Lebensumfeld für Sie aus und welche Eckpfeiler kann Quartier 4 dabei errichten oder stärken helfen?

Sachse-Domschke: Der ländliche Lebensraum, in dem ich groß geworden bin, hat mich geprägt. Als mein Weg mich beruflich nach Frankfurt führte, habe ich viele positive Erfahrungen dorthin mitgenommen. Und das Stadtleben mit seinem großen Angebot an Kultur, Sport und anderen Freizeitaktivitäten begeisterten mich.

Doch was fehlte, war den Kontakt zu Menschen in meinem direkten Wohnumfeld. Weil ich es aber schätze, meine Nachbarn zu kennen, mich mit ihnen auszutauschen und zu erleben, wie man sich gegenseitig nachbarschaftlich ‚unter die Arme zu greift‘, zog es meine kleinen Familie nach der Geburt unseres ersten Kindes zurück auf’s Dorf.

Hier, in Wörsdorf, sind meine Dorf-Nachbarn ein wichtiger Teil meines sozialen Netzes, auch wenn sie nicht direkt nebenan wohnen. Über Kindergarten, Schule, Kirche, Musik- und Turnverein komme ich mit Menschen aller Altersgruppen in Kontakt und erlebe im gemeinsamen Engagement unsere Dorfgemeinschaft. Zusammen mit der dörflichen Nähe zur Natur macht das das gute Lebensumfeld aus, das ich für Menschen jeden Alters erhalten möchte!

Pfarrer Eisele: Nachbarschaft ist ein gutes Stichwort. In einer Zeit, in der wir immer weniger Nachbarn zu brauchen scheinen, weil „man“ in bestimmten Lebensphasen autark ohne nachbarschaftliche Unterstützung leben kann, ist es wichtig, die besondere Qualität von guter Nachbarschaft in Erinnerung zu rufen. Heute können wir online einkaufen, sind mobil, arbeiten nicht mehr vor Ort, haben unsere Freunde andernorts und verbringen unsere Freizeit individuell. Was bleibt da noch an Bedürfnissen, die im Dorf oder im Quartier erfüllt werden müssten? Gerade für die, die nicht aus dem Ort sind, erschließt sich das immer weniger.

Die Megatrends unserer Zeit führen zu Segregation und in letzter Konsequenz zu Vereinzelung. Gerade in diesen Tagen hat der Präsident der Diakonie Deutschland ein gesellschaftliches Bündnis aus Politik und gesellschaftlichen Gruppen, wie Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Sportvereinen und kulturellen Einrichtungen zur Bekämpfung der Einsamkeit angeregt. Der SPD-Politiker Lauterbach sagt dazu: „Die Einsamkeit in der Lebensphase über 60 erhöht die Sterblichkeit so sehr wie starkes Rauchen.“

Dass das Miteinander der Generationen und das freundschaftliche Zusammen- leben Freude bereitet und Spaß macht, erleben ja viele in unseren Dörfern. Ohne aktiven Einsatz droht diese ganz natürliche Art der Begegnung zu erodieren.

Dieser Erosion will Quartier 4 entgegenwirken.

Pfarrer Markus Eisele

Essentiell ist für mich eine Verbesserung der Kommunikation und die Vernetzung untereinander.

Es gibt schon viele gute Ideen und Projekte, bei denen Menschen sich für andere, für ein Gemeinwohl, einsetzen oder einsetzen wollen. Wenn sie sich aber als ‚Einzelkämpfer‘ wahrnehmen müssen und nicht die besten Erfolgs- chancen sehen, führt das zu Frustration und „Ach, ich kann sowieso nichts bewirken“-Pessimismus.

Karla Sachse-Domschke

ULI: Auch die ULI hat sich ja Bürgerengagement und Teilhabe auf die Fahnen geschrieben, wenn auch im kommunalpolitischen Kontext. Wobei „Politik“ zunächst einmal von „polis“, also dem „Gemeinwesen“ herzuleiten ist. Damit sind der soziopolitische Ansatz der ULI und die kirchengemeindliche Keimzelle, aus der Quartier 4 geboren wurde, zwar unterschiedlichen Ursprungs, aber sehr ähnlicher Zielsetzung.

Welche allgemeinen oder auch konkreten Möglichkeiten sehen und verfolgen Sie, um gemeinsam mit anderen Gruppierungen die Bürgerbeteiligung und Partizipation im Sinne eines guten Gemeinwesens voranzubringen?

Sachse-Domschke: Quartier 4 bietet eine wahrnehmbare Plattform, Räume und Zeit für jeden, sich mit Gleichgesinnten, die ihr Lebensumfeld gestalten wollen, zusammenzutun.

Konkret sieht das so aus, dass ich selbst und alle anderen Quartier 4-Teamer das persönlichen Gespräch mit Menschen vor Ort, bestehenden Institutionen, kommunalpolitischen Entscheidungsträgern, Vereinen etc. suchen. Wir werben für ein gemeinschaftliches Angehen unserer großen Zukunftsthemen zur Erhaltung des Dorfes als lebenswertes Zuhause für alle Generationen und machen Mut für gemeinsame Aktionen.

Über erste Erfolge können wir alle uns bereits freuen:
Seit Anfang des Jahres gibt es zu vier Kernthemen, die wir mit allen Interessierten als zentrale Herausforderungen für unsere Dörfer erkannt haben, Arbeitsgruppen aus jeweils rund 10 Personen, die sich über alle Konfessions-, Partei-, Vereins- und Altersgrenzen hinweg regelmäßig treffen und miteinander konkrete Maßnahmen erarbeiten.

Es ist unglaublich motivierend, das zu sehen, und ich bin überzeugt, dass dies ein gutes und tragfähiges Konzept für Teilhabe und Partizipation ist.

Menschen übernehmen Verantwortung für das Leben vor Ort, ohne darauf zu warten, ob die Politik oder andere Verantwortliche den Startschuss geben.

Das ist eine echte Chance!

Pfarrer Markus Eisele

Pfarrer Eisele: Ich glaube, wir haben in den vergangenen Jahren immer mehr Verantwortung für unser Gemeinwesen delegiert – an den Staat, die Kommune oder soziale Dienste. Damit korrespondiert ein Niveau des selbstbestimmten Lebens, wie es noch vor Generationen undenkbar gewesen wäre.

Jetzt wollen wir wieder umdenken – das ist eine deutschlandweite Bewegung:

Menschen übernehmen Verantwortung für das Leben vor Ort, entwickeln neu eine Sensibilität für ihre Nachbarschaft und werden selbst aktiv – ohne darauf zu warten, ob die Politik oder andere Verantwortliche den Startschuss geben.

Eine echte Chance, vor allem auch für die Generation 60plus. Noch nie zuvor gab es eine dermaßen gut ausgebildete, berufliche erfahrene Generation an Menschen im Ruhestand, die noch etwas tun wollen und es auch können.

Die Stadtgesellschaft ist gesund, wenn wir die Dorfzukunft gestalten

Die Stadtgesellschaft ist gesund, wenn wir die Dorfzukunft gestalten

Die Zukunft des Dorfes gestalten – das ist die Aufgabe, die sich Quartier 4 und seine Initiatoren, Pastor Markus Eisele und Karla Sachse-Domschke, gesetzt haben.

 

Der Weg zum Ziel?

Mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen, ihre Bedürfnisse und Wünsche kennenlernen, sie miteinander vernetzen und so ermöglichen, daß aktiv gelebte Nachbarschaft, Bürgerengagement und bürgerschaftlicher Gestaltungswille gelebte Praxis wird.

 

Wir von der ULI finden:

Ein tolles und unterstützenswertes Ziel, das wir uns ja ebenfalls auf die Fahnen geschrieben haben, auch wenn wir einen etwas anderen Umsetzungsweg beschreiten.

In jedem Fall geht es darum, die spezifischen Bedürfnisse der Idsteinerinnen und Idsteiner in den Ortsteilen besser kennenzulernen, die uns oftmals berichten, daß sie sich von der größtenteils in Rathaus und Stadtverordnetenversammlung in Idstein-Kern „gemachten“ Politik und Verwaltung nicht ausreichend berücksichtigt finden.

Die Identifikation mit den Dorfstrukturen der Ortsteile und die sich daraus ergebenden Fragestellungen des Lebens im Dorf sind nun einmal grundverschieden von denjenigen eines selbstbewußten Mittelzentrums wie Idstein-Kern.

Dennoch ist es eine ganz grundlegende Aufgabe unseres gesellschaftlichen Miteinanders, auch jeden einzelnen der Ortsteile so zu berücksichtigen, daß sich auch ein Ehrenbacher oder eine Kröftelerin als Idsteiner/in fühlen mag und in sich in der Struktur der Samtgemeinde Idstein wiederfinden kann.

Bürgerbeteiligung wie aus dem Lehrbuch:
Engagiert, realitätsbezogen und pragmatisch-konkret

Beim Quartier 4-Workshop zum Thema „Gemeinschaft (er-)leben – Treffpunkt Dorfmitte“ sprudelten die Ideen und deren konkrete Umsetzungsmöglichkeiten nur so. Am Ende stand ein modulares Grundkonzept, das auch von denjenigen Workshopteilnehmern in ihre Wohnorte zurückgetragen und dort weiterdiskutiert wird, die aus anderen als den Quartier 4-Ortsteile (Heftrich, Kröftel, Nieder-Oberrod und Waldems-Bermbach) gekommen waren.

Das unterstreicht den Bedarf und den Wunsch nach engagierter Selbstbestimmung, auch über die ersten vier Quartier 4-Ortsteile hinaus.

Identifikation beginnt mit dem Verlassen der Komfortzone, damit, die reine Konsumentenhaltung aufzugeben und an ihre Stelle ein aktives „Ja“ zu eigener Teilhabe zu setzen – diese Überzeugung eint die Grundhaltungen von Quartier 4 und ULI.

Und daher ist es nur zwangsläufig, daß sich ULI-Mitglieder engagiert bei Quartier 4 einbringen und in den Workshops mitarbeiten. Denn so gestalten wir die Dorfzukunft der Ortsteile wie auch die Zukunft der gesamten Kommune Idstein gemeinsam … mit den Inhalten, die (auch) für die Ortsteile von tatsächlicher Relevanz sind.

So funktioniert Bürgersinn
aus unserer Mitte und für unsere Gemeinschaft
anstelle von Politik „von oben“,
die an den eigentlichen Bedürfnissen womöglich haarscharf vorbei geht.

Konzeptionell neu denken – Campus-Erweiterung als Chance zur doppelten Innenentwicklung

Im dieswöchigen Bau- und Planungsausschuß (BPA) stellte Sascha Kappes, Geschäftsführer der Hochschule Fresenius, seine Vorstellungen und Grobplanungen zur Campuserweiterung hier in Idstein vor.

Wenig erstaunlich, daß das vorgeschlagene Parkhaus mit drei Geschossen und vier Parkebenen nicht auf spontane Gegenliebe bei den Mitgliedern des BPAs stieß. Soll es doch auf der heutigen öffentlichen Parkfläche an der Wagenerstraße errichtet werden, wenn es nach Fresenius geht.

Daß dies nicht nur die Belichtung der Anliegerwohnungen und der auf die Parkfläche gerichteten Balkone beeinträchtigen würde, sondern die Bewohner auch mit Lärm und Abgasen belasten würde, haben etliche der BPA-Mitglieder durchaus erkannt. Das Bundesimmissionsschutzgesetz, das zwar bislang niemand in diesem Zusammenhang erwähnt hat, wird sicherlich dazu auch befragt werden müssen, wenn man sich denn für so eine Lösung entschiede.

Eins ist ja mal vollkommen klar, wir verzichten da auf überhaupt nichts. Die Parkplätze für die Öffentlichkeit sind ja nicht weg. Dieser Platz, seien wir mal ehrlich, ist sowieso nicht der schönste in Idstein, der kann nur gewinnen. Im Endergebnis wird das eine städtebaulich attraktive Lösung. Und so ein Parkhaus kann man ja auch so bauen, daß es für die Wohnungen dahinter einen Lärmschutz gegen die Wagenerstraße darstellt. Das wird eine ganz tolle Sache, für die Studierenden und für Idstein, das dadurch belebt wird.

Peter Piaskowski

Fraktionsführer CDU, - zitiert nach Mitschrift der ULI während des Haupt- und Finanzauschusses am 28. September 2017 -

Selbst wenn man der Sicht von Peter Piaskowski (CDU) folgen wollte, der zwei Tage nach der BPA-Debatte im Haupt- und Finanzausschuß versuchte, die augenfällige Unverträglichkeit wegzureden, selbst dann müßte man noch die Frage stellen und sehr ernsthaft prüfen, ob mit der fraglichen Fläche von ca. 2.200qm nicht eine für die Stadt (und Stadtkasse) gewinnbringendere Entwicklung durchgeführt werden könnte. Immerhin handelt es sich um das letzte innerstädtische Grundstück in städtischer Hand, das gemäß Bodenrichtwert einen Wert von € 800.000 hat.

Will man dieses letzte Sahnestück für ein Parkhaus weggeben um im Gegenzug nichts zu bekommen als die Wiederherstellung derselben Anzahl Parkplätze für die Öffentlichkeit, wie sie jetzt schon auf der freien Parkfläche vorhanden sind?

Die ULI meint, nein, so ein Grundstück will man nicht so einfach dafür hergeben, daß vor den Balkonen der Wagenerstraße die Autos der Studierenden in vier Lagen übereinander gestapelt werden können, während die Eigentümer der Fahrzeuge sich auf dem dann „mit erhöhter Aufenthaltsqualität attraktivierten“ Campus (Zitat Kappes) aufhalten.

Der soll nämlich anstelle der heutigen Campusparkplätze Grünanlagen erhalten. Und auch einen kleinen Teich hat man auf der ersten Grobskizze nicht einzuzeichnen vergessen, auch wenn man das an der Stelle sicherlich mal als architektenzeichnerische Freiheit betrachten darf.

Die ULI meint aber auch, daß man dennoch die Wünsche von Fresenius mit einer deutlich verträglicheren Lösung für die Stadt(kasse) und die Anwohner harmonisch unter einen Hut bekommen kann. Und dafür ist gar nicht mal so viel mehr nötig als der Wille, sich von den bislang vorgelegten Visualisierungen komplett zu lösen:

Die BPA-Mitglieder haben sich redlich gemüht, diese Visualisierungen durch kleine Veränderungen hie und dort verträglicher zu gestalten. Sie haben sich aber nicht lösen können von der Lokalisierung des gewünschten Parkhauses auf dem Standort Wagenerstraße und der Aufstockung des heutigen Postgebäudes, um mehr Seminar- und Aufenthaltsraum zu schaffen.

Das Foto zur ULI-Stellungnahme in Idsteiner Zeitung vom 29. September 2017 zeigt aber sehr schön, daß es eine elegante Alternative gibt:

Die Topografie des Campusgeländes hin zur heutigen Post gibt es quasi vor, anstelle des heutigen Postgebäudes mehrere Parkebenen zu schaffen. Diese sind von der Wagenerstraße und Im Hopfenstück nicht nur deutlich geringer optisch auffällig; die größere Entfernung zur Wohnbebauung und besagte Topographie vermindern auch Lärm- und Abgasbelästigung deutlich.

Wenn Fresenius dann die Parkplatzfläche von der Stadt anpachtet und dort in lockerer und ein- bis zweigeschossiger moderner Pavillonbauweise Seminarraum und Aufenthaltsraum schafft, der sich ggf. sogar Nichtstudierenden öffnet, dann kann in Richtung Anwohnerwohnungen ein weiterer grüner Aufenthaltsbereich angelegt werden, der denjenigen ergänzt, den sich Freseniums auf dem Campus wünscht. Und vielleicht bleibt ja sogar noch Raum für das eine oder andere kleine Geschäft, einen Coffeeshop o.ä.

Ein solches Mischangebot aus hochqualitativen Aufenthaltsorten im Freien wie in Gebäuden, der auch der Öffentlichkeit teilzugänglich ist, schafft den Brückenschlag zu einer deutliche Aufwertung des Wohnwertes für die Anwohner, ganz im Sinne der doppelten Innenentwicklung.

Ein echtes Bekenntnis von Fresenius für eine verläßlich Bindung an den Standort.
Eine echte Win-Win-Situation, die die ULI gerne zwischen Verwaltung, Fresenius und politischen Gremien zu vermitteln anbietet.

So baut man heute Pavillons: nachhaltige Baustoffe, pfiffiges Design und licht-luftige Formengebung und Ästhetik. Hier als Beispiel ein Konzepthaus der Firma Baufritz.

Frontalunterricht Physik statt Dialog mit den Bürgern

Frontalunterricht Physik statt Dialog mit den Bürgern

Sie nannte sich „Bürgerdialog Stromnetz“, die Veranstaltung, zu der am 14. September vom gleichnamigen Bündnis aus Marketing- und Moderations-Unternehmen in die Idsteiner Stadthalle eingeladen wurde.

Der angekündigte Dialog wurde, schon bevor er überhaupt startete, stark seitens der Moderatorin ins Regelkorsett gepresst:
Das Auditorium wurde vorab streng ermahnt, sich mit Fragen knapp zu fassen, vorhabenbezogene Aspekte zum hier in Idstein geplanten Ultranet nicht zu thematisieren und, vor allem, von persönlichen Angriffen auf die geladene Referentin, Dr.-Ing. Hannah Heinrich, abzusehen.

Erstaunlich strenge Worte und Regeln für etwas, das sich neutral-sachliche Information und Dialog mit besorgten Betroffenen auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Mitarbeiter von „Bürgerdialog Stromnetz“ touren seit Monaten an der Seite von Vertretern des Ultranet-Vorhabenträgers Amprion durch die Republik und haben offenbar Erfahrungen gesammelt, die ihnen die o.g. schmallippige Ansage angebracht erscheinen ließ.

Dr.-Ing. Hannah Heinrich

re: Oliver Cronau, Leiter Genehmigungen/Umweltschutz Leitungen Amprion

Derart eingeleitet stieg Dr. Heinrich in ihre Frontalvorlesung Physik ein, unter der aufmerksamen Beobachtung der anwesenden Amprion-Mitarbeiter Joelle Bouillon (Unternehmenskommunikation) sowie dem Leiter Genehmigungen/Umweltschutz Leitungen Oliver Cronau, die interessanterweise bei der vorgeschalteten Begrüßung der Vertreter von Kommunalpolitik und -verwaltung unerwähnt blieben.

Die von Physik-Interessierten durchaus geschätzten Details zu Wechsel- und Gleichstrom als solchem gingen leider an dem, was das Auditorium vorrangig interessierte, thematisch komplett vorbei. Die Idsteiner Zeitung repetierte den Inhalt der „Physikstunde“ zwar treulich, quasi als Vorlesungs-Skript; dies trug aber leider nach Ansicht der ULI auch nicht angemessen zur Einordnung dessen bei, wie die Fragen und Besorgnisse der Idsteiner Betroffenen beanwortet werden können.

Es ist schon richtig: Es gab für die kritisch-interessierten Beobachter der ULI wenig Anlaß für die Vermutung, daß die Ausführungen Dr. Heinrichs sachlich fehlerhaft sein könnten. Was jedoch für viele zu spüren war und anhand einiger dezidierter Nachfragen aus dem Auditorium, u.a. auch durch die ULI, schließlich ausdrücklich klar wurde:
Was richtig ist, kann dennoch unvollständig oder – im hier diskutierten Zusammenhang Ultranet-Besorgnisse der Bevölkerung – irrelevant sein.

Und im vorliegenden Falle waren Dr. Heinrichs Ausführungen leider beides:

Verkürzt und damit verfälschend an den Stellen, an denen sie überhaupt einmal auf die zentrale besorgte Frage der Bevölkerung einging, nämlich auf das etwaig vorhandene oder klar auszuschließende Vorliegen akuter und/oder chronischer Auswirkungen der elektrostatischen wie magnetostatischen Felder und, vor allem, der von ihnen ausgelösten Sekundäreffekte (hierzu gehören z.B. Feinstaubwolken ionisierter Partikel, die im Bereich der Hochspannungsleitungen entstehen und vom Wind vertragen werden können).

Es ist auf der einen Seite zwar richtig, daß eine derartige womögliche Gesundheitsgefährdung für bestehendes wie auch ungeborenes Leben nicht eindeutig und nicht im Kausalzusammenhang mit, z.B., ionisierender Strahlung gezeigt werden konnte.

Aber es gibt durchaus Berichte, die einen solchen Zusammenhang mindestens nahelegen und auch eine statistische Abhängigkeit von Ionenwolken und etwa kindlicher Leukämie zeigen:

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Übersetzung des nebenstehenden Textes

„Epidemiologische Studien haben immer wieder und übereinstimmend eine positive Abhängigkeit zwischen extrem niederfrequenten magnetischen Feldern und Leukämie des Kindesalters festgestellt, mit einem offensichtlich 2-fach erhöhten durchschnittlichen Risiko bei 24-stündiger Exposition von Strahlungsintensitäten über 0.3 – 0.4 µT (siehe. Abb. 2.8.5.)

Allerdings ist ein kausaler Zusammenhang bislang nicht zweifelsfrei dargestellt worden, aufgrund der bei Beobachtungsstudien bestehenden Möglichkeit von Verzerrungen und konfundierenden Effekten [d.h. nicht ausreichend herausfilterbaren oder herausgefilterten womöglichen Störvariablen]; und aufgrund der Tatsache, daß entsprechende weitergehende Evidenz aus experimentellen Studien und seitens mechanistischer Daten bislang fehlen.

Falls ein Kausalzusammenhang allerdings in der Tat besteht, lassen sich schätzungsweise < 1 – 4% aller Fälle von kindlicher Leukämie auf die Exposition in extrem niedrigfrequenten magnetischen Feldern zurückführen.“

Damit ist die klare Frage, die im Sinne des Vorsorgeprinzips geklärt werden muß, diejenige, die auch die ULI in der Veranstaltung stellte:

„Wie ordnen Sie, Frau Dr. Heinrich, Ihre Aussagen, daß elektrische wie magnetische Felder einer HGÜ wie die des Ultranets „nicht von Belang“ seien, in den Zusammenhang der Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) ein.“ [ULI liest die nebenstehend farblich angestrichene Passage der SSK-Stellungnahme vom September 2013 aus einem bei der Veranstaltung ausliegenden Ansichtsexemplar vor.]

Die Antwort Dr. Heinrichs?

Sehr wortreich und schon dadurch wenig nachvollziehbar, sogar für die anwesenden Naturwissenschaftler mit medizinisch-professionellem Hintergrund und Erfahrungsschatz. Daher die klärende Nachfrage der ULI am Ende der länglichen Ausführungen Dr. Heinrichs:

„Sind also seitdem Studien im Sinne der vorgenannten Empfehlung der Strahlenschutzkommission durchgeführt oder in die Wege geleitet worden, ja oder nein?“

Antwort Dr. H. Heinrich: „Nein!“

Gesundheitspolitisch ist damit ganz klar nunmehr endlich das zu leisten, was die SSK bereits vor exakt vier Jahren in ihrer Stellungnahme und Empfehlung gefordert hat:

Ein Pilotprojekt wie dasjenige des Ultranets, das eine bisher noch nie in realiter umgesetzte Technologie nutzen möchte, nämlich die gemeinsame Führung von Hochspannungs-Gleich- und –Wechselstrom auf einem beide Leitungen tragenden Hybridmast …

… ein solches Pilotprojekt, das zum ersten Mal vom theoretischen „Rechenblatt“ in unsere Lebenswelt übertragen wird, muß vor dem unkontrollierten Feldversuch mit vielen 100 Trassenkilometern und einer Zahl von bis zu 1 Mio. betroffenen Anwohnern und Anwohnerinnen in sinnvoll aufgesetzten kontrollierten Studien über ausreichend lange Zeit mit ausreichend vielen Probanden dergestalt untersucht werden, daß alle aus wissenschaftlicher und gesundheitspolitischer Vorsorge-Sicht und Vorsorge-Pflicht relevanten Parameter möglichst umfassend und hochqualitativ untersucht werden.

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat kürzlich einen solchen Forschungsauftrag erhalten.

Bis dieser durchgeführt ist und die  entsprechenden Studienergebnisse ausgewertet sind, muß es die vornehmste Pflicht der Bundesnetzagentur und aller gewählter Volksvertreter im Bund sein, Alte und Junge, Gesunde und bereits Vorgeschädigte wie Herz- oder Lungenkranke, Implantatträger, Schwangere und solche, die in Zukunft noch Kinder zeugen oder gebären können, sowie nicht-humane Mitgeschöpfe vor nicht ausreichend untersuchten und damit nicht ausreichend prognostizierbaren Auswirkungen einer Stromtrasse zu schützen.

Diese Zeit müssen und können wir uns als Gesellschaft mit Verantwortung füreinander und unsere Zukunft nehmen; zumal die HGÜ-Trasse Ultranet entgegen den Marketingversprechen des Vorhabenträgers Amprion den versprochenen Beitrag zur Energiewende frühestens im Jahr 2025 wird leisten können; und bis dahin plant, fossilen Braunkohlestrom von A nach B, durch Idstein hindurch zu transportieren – eine Energieform, die den Zielen der Energiewende komplett zuwiderläuft.

NACHTRAG:
Die Frage, die die ULI gerne noch an Dr. Heinrich gerichtet hätte, blieb leider aufgrund zunehmend tumultösen Veranstaltungsverlaufs ungestellt:

Wenn tatsächlich jede sachgerecht durchgeführte kontrollierte und ausreichend lange Studie mit aussagekräftiger „statistischer Power“ (wie es im Fachjargon heißt) nur bestätigen wird, daß keinerlei Gesundheitsbedenken zu gewärtigen sind, warum wehren sich die Vorhabenbetreiber und ihre Referenten dann derart vehement gegen die sachlich-wissenschaftlich nur folgerichtige und ganz nüchterne Forderung nach einem solchen Nachweis?

Alle Seiten hätten Ruhe bzw. könnten beruhigt sein, wenn man ihn erbrächte.

Daß man dies nicht zu tun bereit ist, hinterläßt einen schalen Geschmack.

Zynismus statt Verantwortungsbewußtsein

Wer erinnert sich noch an das Thema „Ultranet“, das Ende März den Veranstaltungsraum der Stadthalle aus allen Nähten platzen ließ?

Man hat lange nichts von diesem Thema gehört. Die Bürgerinitiative, die sich zum Thema unter direkt Betroffenen, den BewohnerInnen des Gänsbergs, formiert hat, agiert leider weitestgehend hinter verschlossenen Türen. Und die Information der Stadt Idstein zu diesem Thema ist äußert dünn bis nicht auffindbar. Der geneigte Leser suche gerne selbst zu diesem Stichwort unter www.idstein.de .

Die Informationen dazu, was Bürgermeister Christian Herfurth und der Magistrat bislang in dieser Angelegenheit unternommen haben, sind zwar kürzlich nochmals zur Veröffentlichung auf der Internetseite der Stadt zugesagt worden. Passiert ist dahingehend jedoch nichts.

Daher hier einige sachliche Tatsachen zum Thema, die die ULI recherchiert hat:

Das Ultranet ist eine Höchstspannungs-Gleichstromübertragungstrasse (HGÜ-Trasse), die die auf bestehenden Wechselstromtrassen aufsitzen soll und in dieser Form die erste ihrer Art sein wird.

Neue Stromtrassen unterliegen gesetzlichen Auflagen hinsichtlich des Mindestabstandes zu Gebäuden und geschlossener Bebauung. Obwohl das Ultranet ein unerprobtes Novum ist, für dessen physikalische, gesundheitliche und sonstigen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt noch keinerlei Werte oder Erfahrungen vorliegen, ist die Ultranet-Trasse von den ansonsten geltenden Mindestabständen befreit.

Die Angabe von belastbaren Schwellenwerten für Wahrnehmungs-, Belästigungs-, Schmerz- und Gefährdungseffekte ist derzeit nicht möglich. Daher empfiehlt die SSK die Durchführung weiterer Forschungsprojekte zur Wahrnehmung vor allem in Form von Humanstudien.

Strahlenschutzkommission (SSK)

Quelle: http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse/2013/HGUE.html

Das Ultranet wird bis auf weiteres nicht den propagierten angeblichen Beitrag zur Energiewende durch Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien beitragen. Ganz im Gegenteil wird es bis mindestens 2025 konventionellen Braunkohle-Strom aus Meerbusch im Ruhrgebiet transportieren.

Damit steht es auch nicht zum Zeitpunkt der Abschaltung des letzten Atomkraftwerks in 2022 zur Verfügung, schon gar nicht als Ersatz für das bereits seit letztem Winter abgeschaltete AKW in Philippsburg.

Der Transport des Braunkohlestroms über das (unerprobte) Ultranet soll zwar durch Idstein gehen, in einem geringeren Abstand zur Wohnbebauung in Wörsdorf und auf dem Gänsberg als für (erprobte) Wechselstromtrassen gesetzlich vorgeschrieben. Idstein wird jedoch in keiner Weise selbst hiervon profitieren; dies geschieht erst am HGÜ-Trassenende in Philippsburg (BW) genutzt. Dies steht im krassen Gegensatz zu zukunftsfähiger Produktion von Energie in räumlicher Nähe zu ihrem Verbrauch.

Schließlich hat bei neuen Trassen gemäß Bundesgesetzgebung Erdverkabelung generell Vorrang vor Freileitung, die nur ausnahmsweise zur Anwendung kommen dürfen.

[Jochen] Homann [Chef der Bundesnetzagentur] verteidigt regelmäßig die Entscheidung für Erdkabel, obwohl diese deutliche Mehrkosten in Milliardenhöhe bringen werden. Erdkabel ermöglichten teils direktere Trassenführungen und sparten so Wege. Außerdem werde es mutmaßlich deutlich weniger Proteste und damit langwierige Prozesse geben, argumentiert Homann. „Wir sehen deutlich, dass die Akzeptanz für die Leitungen steigt, seit klar ist, dass diese als Erdkabel realisiert werden“, sagt der Netzagenturchef. Das rechtfertigt aus Sicht der Behörde auch die Mehrkosten: „Ohne Erdkabel würden wir überhaupt nicht voran kommen“, heißt es aus der Netzagentur.

ZEITOnline

vom 7. Mai 2017 , http://www.zeit.de/news/2017-05/07/energie-stromnetzausbau-kommt-in-gang-07115203

Gerade der Punkt „Vorrang Erdverkabelung“ erscheint der ULI bemerkenswert vor dem Hintergrund der Aussagen Bürgermeister Herfurths (CDU) und des Bundestagsdirekt-Kandidaten Klaus-Peter Willsch (CDU) zu diesem Thema. In Gesprächen und schriftlichen Stellungnahmen heben beide hervor, daß die Stadt einen Alternativvorschlag für die Trassenführung der Freileitungen unterbreitet hat. Dieser Vorschlag seitens der Stadt Idstein ist laut BI Ultranet wohl sowieso bei der Bundesnetzagentur nicht fristgerecht eingegangen, so daß mit Berücksichtigung nicht zu rechnen ist.

Zudem stellt die ULI jedoch erstaunt fest, daß die eigentlich vorrangige Erdverkabelung für diejenigen, die hier in der Verantwortlichkeit für Idstein und die Gesundheit ihrer Bewohner und Bewohnerinnen stehen, offenbar überhaupt keine Alternative, geschweige denn eine Forderung gegenüber dem zukünftigen Netzbereiber Amprion und der Bundesnetzagentur zu sein scheint.

 

„Was ist schon eine Million Betroffener bei einer Gesamtbevölkerung von 80 Millionen.“

Klaus-Peter Willsch (CDU), MdB und Bundestagsdirektkandidat 2017 Wahlkreis Rheingau-Taunus-Limburg

zu besorgten Bewohnerinnen und Bewohnern des Idsteiner Gänsberg im Wahlkampfgespräch am 09. September 2017

Bewohner und Bewohnerinnen des Gänsbergs, die Willsch auf einer CDU-Bundeswahlkampfveranstaltung in Idstein am 09. September 2017 darauf hinwiesen, daß entlang der geplanten Ultranet-Trasse immerhin ca. 1 Millionen Bürgerinnen und Bürger ungefragt und vielfach ungewollt einem Feldversuch mit zur Zeit nicht absehbaren Risiken ausgesetzt werden, durften sich von einem gewählten Vertreter der Bürgerinteressen anhören: „Was ist schon eine Million Betroffener bei einer Gesamtbevölkerung von 80 Millionen.“

Ein derartig achselzuckend-lapidares Verständnis des Wählerauftrages bei jemandem, der gerade ausreichend Stimmen in seinem Wahlkreis einsammeln will, um wieder in den Bundestag einzuziehen, empfindet die ULI als mindestens höchst zynisch.

 

Rheinland-Pfalz macht dagegen vor, die man begründete Bürgerbesorgnis mit verantwortlicher Politik in Einklang bringt:

Und wer das ebenso wichtige wie verantwortungsbewußte Vorsorgeprinzip, das Landesministerin Ulrike Höfgen (Bündnis 90/Die Grünen) in der nebenstehenden Pressemitteilung des Rheinland-Pfälzischen Landesministeriums zitiert, als überzogen abtun möchte, sollte spätestens von dem ebenfalls oben genannten Forschungsprogramm des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) eines Besonneneren belehrt werden:
Das BfS steht nun wirklich nicht im Ruch, besonders esoterisch, alarmistisch oder sonstwie abseits reiner Meßwerte, wissenschaftlichen Fakten und belegter Forschungsergebnisse zu stehen; im Gegenteil.

Quelle: https://mueef.rlp.de/de/pressemeldungen/detail/news/detail/News/ultranet-hoefken-unterstuetzt-forderung-der-bi-pro-erdkabel/

Bürgerinfomarkt ULTRANET in IDSTEIN, Stadthalle, 14. September, 19 - 21 Uhr

Nicht nur die über 50% direkt betroffenenen Wörsdorferinnen und Wörsdorfer sowie die auf dem Gänsberg Lebenden sollten dies als wichtigen Termin vermerken, um sich die Argumentation der verschiedenen Seiten anzuhören.

Vor allem könnte dies ein öffentliches Lehrstück darüber werden, wie diejenigen, die durch unser Mandat in die Pflicht gehoben wurden, Schaden von der Stadt und ihren Bewohnern abzuwenden, in realiter agieren und argumentieren, wenn das entsprechende Vorsorgeprinzip der eigenen Stadtbevölkerung dem Privatinteresse eines großen bundesweit agierenden Konzerns gegenübersteht.

Hier und jetzt sind politisches Rückgrat und Engagement zur notwendigen Wahrung der Interessen der Stadtgesellschaft gefragt.