Bei allen Diskussionen rund um die Beibehaltung des Straßennamens der Rudolf-Dietz-Straße, ist uns wieder deutlich vor Augen geführt worden, dass alles Formale auch immer etwas Menschliches hat. Menschliches jenseits persönlicher Befindlichkeiten, die nichts zur Sache betragen.
Wir waren sehr überrascht und haben uns sehr gefreut, als wir unlängst in unser Email-Postfach schauten und dort eine Email vorfanden, aus der wir jetzt gerne zitieren:
Sehr geehrte Frau Oestreich und Mitstreiterinnen,
durch Zufall stieß ich auf Ihre Internetseite und las von Ihrem Einsatz für die Umbenennung der Rudolf-Dietz-Straße und damit auch von der Aufarbeitung der Idsteiner NS- Zeit insbesondere den Kalmenhof betreffend. Ich bin die Tochter von Pfarrer Siebert aus Heftrich und weiß von ihm von der Geschichte, ich war als Kind auch mit auf der Studienfahrt nach Polen, wo wir Herrn Skrzypek kennenlernten ( ich war allerdings viel zu klein um alles zu verstehen) .
Mir kamen ein paar Tränen in den Augen, als ich las, dass es sogar den Vorschlag gab, die berüchtigte Straße in Pfarrer- Siebert- Straße umzubenennen. Mein Vater hätte sich über diese Form von Anerkennung sehr gefreut! Nach so vielen Jahren gibt es im Idsteiner Raum immer noch Leute, die sich an sein Engagement erinnern, wie schön ist das!
Den nachfolgenden Antrag, die Straße nach Frau Ruth Pappenheimer zu benennen hätte er aber in jedem Fall noch besser gefunden. Die Erinnerung an eine von den Nazis Ermordete Kalmenhofinsassin hätte er natürlich viel wichtiger gefunden als an seine eigene Person.
Von meiner Seite wollte ich meine Rührung ausdrücken über diese Geste, mit ein paar Tränen und auch einem Lachen, weil – so kenne ich meinen Vater- ein unruhiger Geist , der nicht aufhört, ihm wichtige Botschaften, gegen das Vergessen, zu senden.
Herzliche Grüße aus Hamburg
Liebe Frau Oestreich, vielen Dank für Ihre nette Antwort!
Ich freue mich, dass ich durch Ihre Aktion wieder meine Erinnerungen wecke , z.B. an die Polenreise. Ich war zwar klein, aber ich hab doch verstanden, dass dort in Auschwitz das Allerschrecklichste passiert ist und zwar von Unvorstellbarem Ausmaß. Das hat mich auf jeden Fall nachhaltig geprägt. Und ich glaube, dass diese Reise für alle Teilnehmenden zur Entwicklung eines politischen Bewusstseins beigetragen hat. Ich kann mich gut an die Betroffenheit erinnern, an die Sprachlosigkeit in Anbetracht dieses Grauens. Und wie muss sich das angefühlt haben, nach der Rückkehr ins beschauliche Idstein, von einem Holocaustüberlebenden erfahren zu haben, dass dort in nächster Nähe die Nazi-Mordmaschinerie auch unvorstellbare Verbrechen begangen hatte.
Für meinen Vater war die Erinnerungspolitik sein Leben lang eine Herzensangelegenheit, und es waren für ihn doch auch immer die kleinen Dinge, die in der Summe zählen. Auf lokaler Ebene, im Dorf, bei den Nachbarn, im Konfirmandenunterricht-aufzuklären – Menschen zusammenbringen, Vorurteile abzubauen. Das hat er auch in seinen Predigten als Pfarrer immer versucht. Dadurch hat er sich nicht nur Freunde gemacht – im Idsteiner Umkreis, aber er liess sich nicht einschüchtern.
Herzliche Grüße in den schönen Taunus!