Am 16.11.1956 berichtete die Idsteiner Zeitung „Idsteiner Ehrenstätte ist vollendet“. Sie schreibt weiter: „In den kurzen Rasen sind die Namenssteine der Gefallenen eingelassen. Die Steine wurden von den fränkischen Natursteinwerken geliefert. Kleine Kieferngruppen, Heiderosen, Heister und Birken bilden den natürlichen Schmuck des neuen Soldatenfriedhofs, der von niedrigen Bruchsteinmauern, einer Jasmin- und einer Fichtenhecke umgrenzt wird.“
Von solch einem „schönen Zeugnis für die pflegliche Liebe der Bevölkerung“ ist die Gedenkstätte für Opfer der NS-Euthanasie weit entfernt. Erst 42 Jahre nach Kriegsende am 24.05.1987 wurde im Veitenmühlenweg eine bescheidene Gedenkstätte eingerichtet. Namen oder Gräber sucht man vergebens. Ein Gräberfeld, das zuvor als Schulgarten genutzt wurde, von dem man nicht weiß, wie groß es tatsächlich ist, oder wieviele Menschen dort verscharrt wurden. Schätzungen sprechen mehr als 700 ermordeten Menschen. Vorwiegend Kinder und Jugendliche. Eine genaue Lokalisierung der „Gräber“ auf dem Gelände ist bisher nicht erfolgt.
Würdevolles Gedenken, respektvoller Umgang mit den Angehörigen der Opfer, ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit sehen anders aus. Wie weit es mit der Gedenkkultur her ist, konnte man im Juli 2016 erleben. Da fand sich in einem online-Immobilienportal eine Verkaufsanzeige.
Es folgten Dementi, Fragen wurden gestellt und als erste Antwort fasste die Stadtverordnetenversammlung am 07.07.2016 den einstimmigen Beschluß:
„Der Magistrat wird beauftragt, mit dem Landeswohlfahrtsverband und allen im Zusammenhang mit dem Kalmenhof betroffenen Vitos-Gesellschaften eine Rahmenvereinbarung über alle für die Eigenentwicklung des LWV und der Vitos-Gesellschaften nicht mehr benötigten Gebäude und Grundstücke auf dem Idsteiner Kalmenhofgelände zu verhandeln und abzuschließen. Diese Vereinbarung soll auch das ehemalige Krankenhaus auf dem Gelände Veitenmühlberg 9 und die Gedenkstätte für die Euthanasie-Opfer beinhalten und hier insbesondere sicherstellen, dass die Gedenkstätte dauerhaft erhalten und öffentlich zugänglich bleibt und dass keine Baumaßnahmen auf dem Gelände ergriffen werden, solange nicht zweifelsfrei die genaue Position der Gräber bestimmt wurde. Im Rahmen der Vereinbarung soll sichergestellt werden, dass die Erinnerung an die in der Nazi-Zeit auf dem Gelände verübten Gräueltaten dauerhaft eine angemessene Berücksichtigung findet. Die Rahmenvereinbarung ist vor dem Abschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen.“
Bürgermeister Herfurth möchte eine Diskussion, die „offen und öffentlich“ sein soll (Idsteiner Zeitung 27.07.2016). Es traf sich nun im Dezember 2016 ein Gremium zu seiner konstituierenden Sitzung. Die Mitglieder des Gremiums sind
- Christian Herfurth (Bürgermeister Idstein),
- Gerhard Krum (ehem. Bürgermeister Idstein, Beiratsmitglied Vitos Teilhabe gGmbH, stellv. Vorsitzender des Vereins der Freunde des Kalmenhofs),
- Roland Hoffmann (FDP)
- Sven Hölzel (SPD)
- Andreas Ott (FWG)
- Peter Piaskowski (CDU)
- Jürgen Schmitt (Bündnis90/Die Grünen)
- Thomas Zarda (CDU)
- Edeltraud Krämer (Geschäftsführerin Vitos Teilhabe gGmbH)
- Dr. Jan Erik Schulte (Leiter der Gedenkstätte Hadamar)
- Martina Hartmann-Menz (Publizistin und Historikerin)
- Eberhard Kriews (stellv. Vorsitzender des Vereins der Freunde des Kalmenhofs)
- Kirsten Brast (Pfarrer katholische Pfarrei St. Martin)
Zielsetzung des Gremiums ist es, einen Vorschlag, wie das Krankenhaus-Gebäude sinn- und respektvoll zu nutzen sei, zu erarbeiten.
Im Sinne dessen, was von Bürgermeister Herfurth am 27.07.2016 in der Idsteiner Zeitung zu lesen war, konnte man erwarten, daß die Sitzungen eines solchen Gremiums zumindest öffentlich stattfinden, wenn schon nicht unter aktiver Beteiligung von interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Es soll, wie berichtet, ein Konzept erstellt werden, warum auf die Gedanken und Ideen aus der Bevölkerung verzichten?
Wie kann es sein, daß einer der wenigen erhaltenen Tatorte der NS-Euthanasie, der zudem expizit in die Topographie des Nationalsozialismus aufgenommen wurde, dem Verfall preisgegeben bzw. zum Verkauf angeboten wird?
Es bietet sich die einmalige Chance, eine Begegnungsstätte einzurichten und Jugendlichen und Erwachsenen Optionen zu eröffnen, sich mit den menschenverachtenden Konsequenzen eines totalitären Staates auseinanderzusetzen. Zu verstehen, wohin es eine sich entsolidarisierende Gesellschaft bringt – wenn alle wegsehen oder verdrängen. Eine Stiftung wäre geeignet, diesen Chancen den Weg zu ebnen und würdige Erinnerung zu bewirken.
Die Historikerin Martina Hartmann-Menz bringt folgende Aspekte ein: „Es stellt sich die Frage, ob es dem LWV überhaupt zusteht, die Veräußerung von derart geschichtsträchtigen Gebäuden und Grundstücken zu betreiben? Schließlich wurden diese ursprünglich privat gestiftet und konnten nur infolge der Übernahme durch den NS-Machtapparat in öffentliche Hand gelangen.“
In einer Publikation des LWV anlässlich des 125-jährigen Jubiläums (2013) heißt es: „Dagegen ist die Mittäterschaft beim Krankenmord […] das schwärzeste Kapitel der Kalmenhof-Geschichte. Diese Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Dafür tritt der LWV als Rechtsnachfolger des Trägers ein.“ Wird der LWV diesem Anspruch gerecht, indem er vermutlich plant, den (Tat)Ort des Andenkens zu veräußern?
Was den Angehörigen von Soldaten zu Recht ermöglicht wird, muss den Angehörigen der Mordopfer gleichermaßen gewährt werden.
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Wiesbadener Tagblatt vom 07.07.2016 – Mahnmal für Euthanasie in der Nazizeit: Ehemaliges Krankenhaus des Kalmenhofes steht zum Verkauf
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StVV vom 14.07.2016 Vorlage: 152/2016 Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt Idstein und dem LWV und seiner
Gesellschaften über das Gelände des Kalmenhofs
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Wiesbadener Tagblatt vom 27.07.2016 – Kalmenhof: Erste Gespräche mit Vitos Rheingau und Landesdenkmalamt
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Idsteiner Zeitung vom 29.07.2016 – Keine Verkauf vor Diskussion und Beratung
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Idsteiner Zeitung vom 14.12.2016 – Nutzung mit Sinn und Respekt
Gottseidank haben Sie dieses Vorhaben vereitelt! Was der LWV da vorhatte, ist ungeheuerlich!