
Vergebene Liebesmüh‘
Das Hofgut Gassenbach, seine bisherige wie seine mögliche zukünftige Bedeutung in und für Idstein beschäftigen Stadt und Kommunalpolitik schon seit vielen Jahren.
Das Hofgut wurde vor über 200 Jahren als erste landwirtschaftliche Versuchsanstalt überhaupt genutzt und hatte seit Mitte des 19. Jahrhundert als Reformprojekt Vorbildcharakter – aber auch eine ganz handfeste Aufgabe: Auf dem Gassenbacher Hof wurde am Beispiel des Ballungsraums Frankfurt/Wiesbaden erkundet, wie ein solcher städtischer Raum, den immer mehr Menschen und immer weniger landwirtschaftliche Flächen prägen, aus der Region versorgt werden kann. Die Landwirtschaftliche Schule in der Grunerstraße (heute in Privatbesitz) sowie ihr Pedant in Usingen wurden von jungen Menschen aus ganz Deutschland besucht, um sich mit neuen, damals ebenso revolutionären wie wegweisenden Anbautechniken vertraut zu machen.
Außerdem unterstützte der Gassenbacher den Kalmenhof bis 1933 bei der Umsetzung der Idee „des praktisch Bildbaren“: Heute würden wir sagen, der Gassenbacher war für Menschen mit Einschränkungen eine Einrichtung des Zweiten Arbeitsmarktes, der diesen Menschen eine Chance auf Erwerbstätigkeit gegeben hat und ihnen somit ein Stück wertvolle Selbstständigkeit erlaubte sowie ihr Selbstbewusstsein in der Gesellschaft stärkte.
Ein ungeheuer modernes Konzept, das die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt stützte und stärkte – dabei heute noch so aktuell und notwendig wie je.
Seit Jahren liegt das Hofgut verlassen, die zum Teil denkmalgeschützten Bauten, u.a. das prächtige Torhaus, verfallen zusehends. Seit 2018/19 denken verschiedene Menschen mit und ohne politisches Mandat sehr konkret darüber nach, wie der Gassenbacher Hof in modernem Gewand zum Wohle der gesamten Stadtgesellschaft wiederbelebt werden kann.
Unabdingbar ist hierfür natürlich, dass die Liegenschaft zunächst vom jetzigen Eigentümer, dem Landeswohlfahrtsverband (LWV) in die Hände der Stadt Idstein (oder ihrer Stadtentwicklungsgesellschaft STEG) oder in gemeinnützige Hände übergeht.
Um mit dem LWV in entsprechende Verhandlungsgespräche zu treten, wurde vor Jahren eine Magistratsarbeitsgruppe gegründet. Im Ergebnis erreichte diese Arbeitsgruppe einen Vorverhandlungserfolg mit dem LWV, der in die vorgelegte Magistratsvorlage vom 28.05.2024, die seither mehrfach in den politischen Gremien debattiert, kritisiert, zurückgewiesen und wieder neu vorgelegt wurde. Die klare Mehrheit, die einem solchen Projekt fraktionsübergreifend eigentlich gewünscht werden muß, zeichnete sich bislang nicht ab.
Das hat unsere Fraktion der ULI veranlasst, alle bislang in den Debatten vorgetragenen Bedenken und Risiken ULI-intern kritisch-konstruktiv zu bündeln und angemessen zu würdigen; und zwar mit dem klaren Ziel, einen neuen Weg zu erarbeiten, der einen Erwerb des Hofguts auf rechtlich und operativ mögliche sowie politisch sinnvolle Art ermöglicht, dabei aber die Stadtkasse (und damit die Steuerzahlenden) möglichst gering belastet und jegliches wirtschaftliche Risiko für die Öffentliche Hand weitgehend minimiert.
Klang erstmal wie die Quadratur des Kreises – ist aber mit vertragsrechtlichen Werkzeugen, die üblicherweise in der Privatwirtschaft für derartige Situationen verwendet werden, gar kein Hexenwerk. So kann man es dann auch in dem ULI-Änderungsantrag zur o.g. Drucksache nachlesen.
Wie kann dem ULI-Änderungsantrag die Quadratur des Kreises gelingen?
Es ist natürlich grundlegend wichtig, dass der bislang nur grobe Umriß der zukünftigen Nutzung des Hofguts im Sinne des Allgemeinwohls für alle Idsteinerinnen und Idsteiner mit seiner tatsächlicher privatwirtschaftlicher Attraktivität abgeglichen wird. Dies gelingt in der Kontaktaufnahme mit privatwirtschaftlichen Interessenten, die das Hofgut entwickeln und ggf. auch betreiben wollen. Dabei gewinnt die Stadt, quasi ohne weitere eigene Mühe, Zugang zu ihr bislang unbekannten und unabhängig von den Magistratsgedanken entwickelten Ideen Dritter und zu einem umsetzungsrelevanten privatwirtschaftlichen Netzwerk, ohne das eine solche Projektierung, Entwicklung und erfolgreiche „Bespielung“ nicht möglich ist.
In dem von der ULI vorgeschlagenen Konstrukt kauft dann zunächst die STEG den Gassenbacher Hof mit all seinen unbebauten Ländereien – schon, weil diese für die Renaturierung der Wörsbach-Aue, das stadtklimatisch so wichtige Projekt „Grün-Blaues Band“, das die Erholungsqualität Idsteins hoch attraktiv stärken will … übrigens ein Aspekt in der Debatte um den Kauf des Gassenbachers, der leider von keiner der anderen Fraktionen im Parlament angemessen (meist gar nicht) gewürdigt wird, bedauerlicherweise.
Der Erwerb erfolgt gemäß des ULI-Antrags durch Einbringung hierfür bereits beantragter und sogar bewilligter Fördermittel. Anschließend wird aus den Interessenten, mit denen entsprechende Vorgespräche geführt wurden, ein Entwickler und ggf. auch zukünftiger Betreiber ausgewählt, der das vorabgestimmte Projekt im Sinne der Allgemeinnützigkeit für die Stadtgesellschaft realisiert. Ein geeigneter Partner könnte eine gGmbH oder eine Genossenschaft sein. Eine Absicherung dagegen, dass der Partner seine „Lust an der Gemeinnützigkeit“ nochmal überdenkt, z.B. weil er letztlich doch nur Gewinnmaximierungsinteresse hat, kann über einen Fördermittelvertrag erreicht werden, der zwischen STEG und Projektentwickler abgeschlossen wird.
Die Ernsthaftigkeit des Entwicklungspartners soll gemäß unseres Vorschlags über das sog. Erstangebotsrecht oder Right of First Offer (ROFO) gesichert werden. Das wirtschaftsübliche Instrument des ROFO bietet zahlreiche Vorteile für denjenigen, der das „Handelsgut“ besitzt, in unserem Fall also für die STEG:
Generierung einer frühzeitigen Einnahme durch eine Optionszahlung an die städtische STEG, was gleichzeitig die Verbindlichkeit des Interesses beim Entwicklungspartner erhöht
Weitgehende Kontrolle der STEG über Vertragsverhandlungen mit dem privatwirtschaftlichen Interessenten, der das ROFO innehat:
Das ROFO-Recht muss innerhalb einer festgelegten Frist ausgeübt werden und verfällt ansonsten.
Die STEG erhält die Möglichkeit, finanzielle und nicht-finanzielle Mindestanforderungen für dieses Angebot des Interessenten festzulegen. D.h. die STEG bleibt konzeptionell-gestalterisch auch nach Vertragsabschluß beteiligt.
Die STEG hat die Möglichkeit, das Erstangebot abzulehnen und die Liegenschaft, nach Maßgabe der vertraglichen und rechtlichen Vereinbarungen des ROFO-Abkommens) auf dem offenen Markt anzubieten; oder sogar selbst zu entwickeln.
Die ULI hat angeboten, diesen risikominimierenden Änderungsantrag zunächst in den zuständigen Arbeitsgremien zu beraten, da das Konstrukt sicherlich davon profitiert, noch einmal von allen Fraktionen ernsthaft und kritisch beleuchtet und gemeinsam durchdacht zu werden. So hätte die gute Chance bestanden, eine breite Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg für den Kauf des Gassenbacher Hofes gewinnen zu können.
Allerdings war das den Fraktionen von CDU, SPD und FDP entweder zu mühsam oder zu lästig oder es gab noch ganz andere Gründe, auf der zuvor geäußerten Ablehnung des Kaufs zu beharren. Am finanziellen Risiko, das als Argument von diesen Fraktionen vorgebracht wurde, kann deren Ablehnung allerdings tatsächlich nicht gelegen haben – denn genau dieses Risiko würde durch den ULI-Änderungsantrag bis zum äußersten minimiert. Und dass unser Antrag schlicht nicht verstanden wurde, wollen hier ausdrücklich nicht unterstellen.
An was auch immer CDU, SPD und FDP ihre Ablehnung festgemacht haben, bleibt ihr Geheimnis. Klar hingegen ist, dass die Realisierung der Renaturierung des Wörsbaches in weite Ferne gerückt ist, deren Wichtigkeit gerade die vorgenannten Fraktionen immer wieder als äußert wichtig deklariert haben. Waren dies etwa nur wahlkampftaugliche Lippenbekenntnisse – denn ein bißchen Öko schadet ja selbst denen, die „linken und Ökospinnern“ attestieren, sie hätten nicht alle Tassen im Schrank?
Auch das Schicksal des bebauten Geländes liegt nun weiterhin in den Händen Dritter.
Der LWV als Eigentümer wird die Immobilie in einen Ausschreibungsprozess mit ungewissem Ausgang geben. Die Hoffnung, dass die Stadt Idstein durch ein Bauleitverfahren „Herrin des Verfahrens“ bleiben könne, ist so trügerisch wie das vorgenannte Bekenntnis zum Grün-Blauen Band eines ohne nennenswerte Halbwertzeit ist; denn ein potenzieller Investor wird vom LWV keine Liegenschaft kaufen, für die es keine Bauleitplanung gibt, die sein (mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gemeinnütziges) Projekt ausdrücklich ermöglicht.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, Fakt bleibt: Aus dem nicht näher substantiiert dargelegten Unwillen von CDU, SPD und FDP heraus wurde die große Chance vertan, den ersten, aber entscheidenden Schritt zu einer tragfähigen Lösung für die Wiederherstellung des Gassenbacher Hofes in zeitgemäßem konzeptionellen und geschichtsgemäßen baulichen Gewand zu gehen.
Mein ganz großes Kompliment für diese sehr akribische und professionelle Arbeit. So sollte Kommunalpllitik öfter aussehen!