Stadtentwicklung heißt, politische Verantwortung übernehmen

Der Ortsbeirat Idstein-Kern hat in weiten Teilen in der Tat Rückgrat gezeigt (siehe IZ vom 11.03.2017):

Letztlich wurde die Beschlußvorlage für die Bebauungsplanänderung (B-Planänderung) Marktplatz 6 / Escher Straße 8 – 10 in ihrer originären Form einstimmig abgelehnt; und selbst eine veränderte Form war nicht mehrheitsfähig.

Damit sind diejenigen Fraktionen, die sich vollumfänglich gegen die geplante Änderung ausgesprochen haben, ihrer politischen Verantwortung nachgekommen.

Denn nicht nur die ULI fragt sich, ob nur vordergründig über eine B-Planänderung debattiert wird.

Auch einige der Fraktionsvertreter haben in einer teilweise ungewohnt engagierten und erfrischend emotionalen Debatte deutlich erkennen lassen, daß es offenbar tatsächlich nicht in erster Linie um den B-Plan als städteplanerisches Instrument geht; sondern dieses nur baurechtliche Möglichkeiten schaffen soll, damit ein konkretes Bauvorhaben auf dem fraglichen Grundstück verwirklicht werden kann – den Wünschen des Bauherrn entsprechend, der diese im Rahmen des aktuellen baurechtlichen Rahmens nicht umsetzen könnte.

Um es einmal ganz klar zu benennen:
Es existiert ein B-Plan für das o.g. Grundstück. Innerhalb dessen Vorgaben hat der Eigentümer selbstverständlich das Recht, so zu bauen, wie die entsprechenden Vorgaben es zulassen. Nur scheinen die aktuellen Möglichkeiten ihm schlicht nicht zu genügen.

Aufgrund der hohen Bedeutung des fraglichen Grundstücks für die Wirkung der denkmalgeschützten Altstadt läßt der aktuelle B-Plan nur geringe Geschoßzahl, sich der historischen Altstadt anpassende Dachformen und andere sensible Vorgaben zu. Dies steht im Einklang mit der bereits im Herbst 1986 durch die Stadtverordneten beschlossenen „Bausatzung der Stadt Idstein über die Gestaltung baulicher Anlagen in der Altstadt Idstein“, die die historische Altstadt zu bewahren sucht.

Der vor allem seitens der SPD im aktuellen Verfahren immer wieder gebetsmühlenhaft vorgebrachte formalistische Einwand, das Grundstück Marktplatz 6 liege doch außerhalb des geschützten Altstadt-Ensembles, greift nicht. Dies zeigt auch der der sog. Aufstellungsbeschluß für die beantragte B-Planänderung überdeutlich. Dort heißt es nämlich:

„Das Grundstück befindet sich zwischen innerer Escher Straße und historischer Altstadt und moderner Neubebauung und kann deshalb keine allgemeine Gestaltungsfreiheit erhalten. Dem zur Folge ist insbesondere bei der Fassadengestaltung und dem optischen Gesamteindruck ein besonderes Augenmerk auf die städtebauliche Wirkung zu legen mit dem Ziel einer harmonischen Fernwirkung.

Von einer solchen „harmonischen Fernwirkung“ wird nicht gesprochen werden können, wenn erlaubt werden sollte, was geplant ist. Grob skizziert sähe die Verwirklichung des Bauvorhabens, um das es hier tatsächlich geht, nämlich so aus – in Höhe, optischer Fernwirkung (aufgrund von weitestgehender Rodung des bestehenden Baumbestandes) und Architektur, die andernorts schon treffend als „Würfelhusten“ charakterisiert wurde:

Die durch den bestehenden B-Plan gegebenen Optionen mögen für den Eigentümer lästig, ärgerlich oder schlicht zu kleinteilig sein.

Bis auf weiteres gilt aber auch für Dietmar Bücher noch das, was für jeden Bürger gilt, der Bauland erwirbt: „Augen auf beim Grundstückskauf“, sonst muß man sich selbige gegebenenfalls reiben, wenn nicht alle Vorstellungen zum erträumten Bauvorhaben im Rahmen des jeweiligen B-Plans verwirklichbar sind.

Die für den Satzungsbeschluss vorgelegten Baupläne entsprechen dem Ziel des Aufstellungsbescheides nicht. Dies wird auch von berufener fachkompetenter Seite bestätigt:

Die Planung geht in keiner Weise auf den Baustil der Altstadt ein. Dies betrifft sowohl die Fassadengestaltung als auch die Dachgestaltung, die Kubatur und die offenbar geplante Materialwahl. Es sind  Flachdächer vorgesehen, die Altstadt hat ausschließlich Gebäude mit geneigten Dächern. Die geplanten Balkone haben kein historisches Vorbild.

Die geplante Bebauung wird, auch aufgrund der notwendigen hohen Aufschüttungen, klar absehbar als Fremdkörper wirken. Dieser Fremdlörper wird umso deutlicher zutage treten, da zu bezweifeln ist, daß die in der B-Planänderung immerhin zum Erhalt vorgesehenen Bäume tatsächlich erhalten werden können. Bei den geplanten umfangreichen Hoch- und Tiefbaumaßnahmen wird dies kaum möglich sein.

Dipl-Ing. Ute Reinhardt

Stadtplanerin

Daher ist es jetzt an den Mandatsträgern, sich ihrer politischen Verantwortung würdig zu erweisen und ihr gerecht zu werden. Die Stadtverordnetenversammlung hat es in der Hand, eine ausreichend sensible und – ihrer eigenen Forderung gemäß – harmonische Gestaltung des möglichen Neubaus zu bestimmen.

Warum nicht sogar innerhalb der Grenzen dessen, was der aktuell gültig B-Plan zuläßt, d. h. ganz ohne ihn zu ändern.

Denn es geht ja nicht nur das Grundstück Marktplatz 6. Eine dortige signifikante Verletzung der bestehenden Altstadtsilhouette hätte auch eine zeitliche Fernwirkung auf andere zukünftige Bauvorhaben: Mit welcher Begründung sollte es einem anderen Eigentümer der hinteren Gärten zwischen Kreuzgasse und Escher Straße verwehrt werden, ebenfalls eine B-Planänderung von den politisch Verantwortlichen zu fordern, wenn man dieser Befriedigung privater Interessen jetzt gegenüber dem ersten Eigentümer seitens Politik und Verwaltung eilfertig nachkommt?

Die gewählten Politiker müssen den Bürgerinteressen im gegebenen Fall nachkommen und die von der ULI bereits benannte Reißleine jetzt ziehen. Anderfalls wird die Altstadt nachhaltig städtebaulich geschädigt werden; mit signifikanten Auswirkungen auf weitere Grundstücke und nachfolgende Bauvorhaben. Dies nimmt nicht nur Idsteinern die Freude am mittelalterlichen Flair der Stadt, sondern wird auch den Wirtschaftsfaktor Tourismus deutlich und dauerhaft beeinträchtigen.

Die ULI appelliert an die StVV, diesen Schaden für Idsteins Bürger und unsere Stadt nicht zuzulassen, nur um einem einzelnen Bürger zu Willen sein zu können.

Solidarität und Konsolidierung

ULI hofft auf einen Schuldenabbau für Idstein

 

Der aktuelle Ländervergleich unterstreicht die dramatische Finanzlage der hessischen Kommunen: Knapp die Hälfte der Kommunen im Land sind stark defizitär, was einer Pro-Kopf-Verschuldung entspricht, die in lediglich zwei Bundesländern noch höher ausfällt. Die in der Vergangenheit erfolgten Erhöhungen der kommunalen Steuern haben zwar zu kräftigen Mehreinnahmen, nicht jedoch zu einer Konsolidierung der Haushalte geführt: Gegenüber dem Vorjahr stiegen die Defizite weiter um EURO 115 Millionen auf nunmehr EURO 18,2 Milliarden. Einhundert Städte, Gemeinden und Landkreise Hessens wurden so bereits unter den Schutzschirm des Landes gezwungen und haben tatsächlich   ihre Schulden seither durch verordnete Ausgabenreduzierung und Umstrukturierungen um 83 % abbauen können.

Der Preis, den die betreffenden Gemeinden zahlen müssen, ist allerdings eine Schutzschirm-bedingte massive Einschränkung selbstbestimmten Handelns.  Die ULI  will weder Zwangsbewirtschaftung noch Verlust von Selbstbestimmtheit für Idstein; sondern undogmatischen Pragmatismus, der die vorhandene Finanzkompetenz nüchtern dem obersten Ziel unterstellt, unsere Freiheit zur Gestaltung des städtischen Lebens Idsteins zu erhalten.

Angesichts des bereits für 2017 prognostizierten ansteigenden Zinsniveaus für kurz- wie langfristige Verpflichtungen ist der möglichst zügige Abbau der Idsteiner Schuldenlast von ca. EURO 80 Millionen oberstes Gebot. Haushaltspolitische Bemühungen, die sich weiterhin darin erschöpfen, über eine strukturkonforme Einnahmepolitik der kleinen Schritte die bestehenden großen Löcher zu stopfen,  können vor dem Hintergrund dieser absehbaren Zinsentwicklung nur scheitern.

Dazu braucht Idstein jedoch zwingend eine deutlich mutigere Haushaltspolitik, die die ausgetretenen und bequemen Wege verlässt und auch womöglich unpopuläre Maßnahmen nicht scheut:  Im Zuge einer überfälligen Strukturreform des Haushaltes darf auch die  Ausgabenseite, inklusive freiwilliger Leistungen der Stadt, nicht sakrosankt sein, sondern Einsparungspotenziale müssen identifiziert und notwendige Kürzungen mutig vorgenommen werden.
Wir Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt sind dringend gehalten, solidarisch zu sein und uns unserer Verantwortung zu stellen; auch und gerade im Hinblick auf die junge Generation, der der Schuldenberg in nicht mehr allzu ferner Zukunft auf die Füße fallen wird und die dann wahrscheinlich keine eigenen Gestaltungsmöglichkeiten für unsere Stadt mehr haben wird, sondern übergeordneten Behörden die Entscheidungsbefugnis wird abtreten müssen.

Die Zeit der Geschenke, die wir alle gerne angenommen haben,  ist vorbei. Jetzt müssen wir  gemeinsam überlegen und entscheiden, wie wir die aufgelaufene Rechnung bezahlen können. Als Solidargemeinschaft, die in der Generationenverantwortung steht, werden wir alle uns zumindest von einem Teil der liebgewonnenen Zuwendungen der „fetten Jahre“ verabschieden müssen.

Die Stadtverordneten werden am 08.12.2016 in ihrer letzten Sitzung des Jahres über den Haushaltsplan 2017 entscheiden. Die ULI appelliert an ihre Weitsicht, Kompetenz und Gewissensverantwortung bei den anstehenden Entscheidungen, damit wir unsere schöne Stadt auch in Zukunft noch aktiv steuern und gestalten können.

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Original-Artikel der Idsteiner Zeitung vom 08.12.2016