Halbzeit !

von 3. Aug 20237 Kommentare

Mit der aktuellen Sommerpause 2023 ist in etwa die erste Hälfte der aktuellen Wahlperiode bereits durchschritten, der ersten Wahlperiode, in der auch wir ULIs im Stadtparlament sitzen und uns nach Kräften bemühen, mit eigenen Innovationsimpulsen sowie diskursiven Beiträgen zu den Anträgen anderer Fraktionen die Zukunft für die Idsteinerinnen und Idsteiner enkeltauglich gestalten zu helfen.

Zur Erinnerung:

Die ULI hat sich gegründet, und ist zur Kommunalwahl 2021 das erste Mal angetreten, um für Idstein politisch etwas zu bewirken, das nicht für oder gegen ein bestimmtes politisches Dogma steht, sondern das durch neue Idee und andersartige Perspektiven versucht, politische Wirkkraft zu entwickeln, die für möglichst viele Idsteinerinnen und Idsteiner einen positiven Effekt hat.

Schon in der vergangenen Wahlperiode, in der wir nur aufmerksam während der Gremien zuhören, aber keine eigenen Ideen und Lösungsvorschläge vortragen durften, kam es uns ULIs so vor, als gäbe es nur einige wenige Themen, die die Fraktionen reiten, ohne aber die großen, komplexen Aufgaben anzugehen, die die Weichen für ein auch zukünftig gutes Leben in dieser Stadt mit ihren kleinen und größeren Ortsteilen stellen.

Solche großen Themen, die nicht in einem Wurf, mit einem einzigen Antrag zu adressieren sind, hat die ULI sich nicht gescheut, in ihr Wahlprogramm aufzunehmen. Seit wir unsere vier Mandate innehaben, arbeiten wir stetig mit viel Energie daran, diese dicken Bretter (neben allen anderen) auch zu bohren. Als Beispiel seien die Punkte „Lichtverschmutzung“ und „Bürgerräte“ genannt, für die wir auch außerhalb der politischen Gremien über entsprechende ULI-Veranstaltungen Sensibilität und verantwortungsvolles Handlungsbewusstsein schaffen.

Dass politische Mit-Gestaltung gerade für die ULI als eine der kleineren Fraktionen kein einfaches und ein oftmals mühevolles Unterfangen werden würde, war uns klar.

Wie ernüchternd es aber ist, immer ergebnisoffen in die Diskussionen unserer eigenen wie der Anträge der anderen Fraktionen zu gehen und zu versuchen, über eine echte und respektvolle Debattenkultur gemeinsam mit den anderen Fraktionen, um das beste und möglichst breit tragende Ergebnis zu ringen, war nicht absehbar.

„Stell Dir vor, Du hast nur das Ziel, völlig frei von Machtansprüchen und -allüren das Beste für die Bürgerinnen und Bürger dieser Kommune erarbeiten zu wollen, und keiner macht mit.“

Das mag etwas überspitzt an den alten Sponti-Spruch angelehnt sein, trifft aber unser zunehmend ärgerliches Erleben und Beobachten der Stadtpolitik bedauerlicherweise ziemlich gut:

Politische Mehrheiten bilden sich selten als Ergebnis von Denk-, Diskurs- und Debattenarbeit in den Ausschüssen und dem Stadtparlament, sondern selbst auf kommunaler Ebene erstaunlich oft aufgrund von Parteiräson und profaner Arithmetik, „gerne“ auch schon im Vorfeld der Debatte ausgehandelt.

Anträge, deren Umfang und Komplexität des womöglich resultierenden Auftrags an die Verwaltung über das ganz kleine Karo hinausgehen, werden regelhaft abgelehnt. Argument: Für so etwas habe die Verwaltung keine Kapazität (man spürt durchaus, dass „Kapazität“ eigentlich für ein anderes Wort steht…).

Merke: Die ULI ist die einzige der sechs Fraktionen in der Idsteiner Stadtverordnetenversammlung, die sich ausschließlich auf Idstein konzentriert und in keiner Form auf höherer politischer Ebene weisungsgebunden ist und/oder wie auch immer geartete Rücksichten auf z.B. bevorstehende Kreis-, Land- oder Bundestagswahlen nehmen muss.

Dazu passt, dass jede der anderen Fraktionen zwar stolz die schiere Anzahl der eigenen Anträge in jeder Haushaltsrede zum Jahresende auflistet. Die tatsächliche Umsetzung dieser Anträge hält jedoch keine dieser Fraktionen konsequent nach. Der gestalterische Effekt verpufft daher, ehe er auch nur gezündet wurde.

Selbst Prüfanträge, für die das ungeschriebene parlamentarische Gesetz gilt, dass man sie nur bei sehr schwerwiegenden Einwänden nicht mitträgt, können mittlerweile regelhaft nicht mehr als Basis für weiteres politisches Handeln eingesetzt werden: Die Verwaltung prüft prinzipiell dergestalt, dass nicht neutral-sachlich berichtet, sondern eine klare Empfehlung abgegeben wird; und dies sogar dann, wenn der Auftrag klar lautet, lediglich über technisch-faktische Machbarkeit zu berichten.

Meinungsbildung der Mandatsträger:innen qua Verwaltungsbericht – mehr als eine Fraktion fragt mittlerweile schon vor Eintritt in eine politische Debatte, manchmal sogar schon, bevor die antragstellende Fraktion ihren Antrag begründen durfte, was denn die Verwaltung von dem jeweiligen Vorschlag halte. „Ich möchte gerne die Verwaltungsmeinung hören, damit ich mein Abstimmungsverhalten danach ausrichten kann“, hat die ULI nicht nur einmal befremdet vernommen.

Die neueste Unsitte, die in den Gremien Schule zu machen beginnt (obwohl das ihrer Rolle als demokratischem Arbeits-Instrument widerspricht): Ein Magistratsmitglied verliest vor Eintritt in die politische Debatte einen von der Verwaltung erstellten Kurzbericht, oft genug (zeit-)notgedrungen kursorisch recherchiert. Daraufhin erklärt ein oder eine Stadtverordnete den Antrag umgehend für „erledigt“. Die antragstellende Fraktion, die womöglich noch gar keine Gelegenheit zur Begründung hatte, kann ihren Antrag damit vergessen. Die anderen Fraktionen haben vor dem Antrag ihre „Ruhe“, anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen und ihn, wenn sie ihn nicht mittragen oder mehrheitsfähig abändern können, zumindest in einem sauberen demokratischen Prozess abzulehnen.

Der Dreiklang aus mehrschichtigen Abhängigkeiten innerhalb verschiedener Partei-Ebenen (Kommune, Kreis, Land, Bund) sowie der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Ressourcenknappheit der Verwaltung und, schließlich, der fehlenden politischen Bereitschaft zur verwaltungsunabhängigen eigenen politischen Einordnung und Bewertung von neutral und ohne Einflussnahme zur Verfügung gestellten Fakten, Sachlagen und Gegebenheiten führen dazu, dass sich die Rollen der Akteure „Politik“ und „Verwaltung“ umkehren:

Sieht auch das Regelwerk der Hessischen Gemeindeordnung vor, dass politischer Gestaltungswille durch Verwaltungshandeln realisiert wird, so sind die Vorzeichen in Idstein oftmals exakt umgekehrt: Politische Ideen, von denen anzunehmen ist, dass sie Kapazitäten aus dem laufenden Tagesgeschäft der Verwaltung benötigen, werden entweder in vorauseilendem Gehorsam schon von den Stadtverordneten selbst abgelehnt – oder nehmen den Umweg über die Verwaltung, die entsprechende Negativempfehlungen ausspricht, wohl wissend, dass eine gute Chance besteht, dass eine Mehrheit der Stadtverordneten nachgerade dankbar ist, wenn sie sich keine eigene, womöglich anderslautende politische Meinung differenziert erarbeiten muss.

Es wundert mithin nicht, dass die Fraktionen immer weniger Anträge überhaupt noch selbst in die Sitzungsläufe einbringen. Die FDP bildet das parlamentarische Schlusslicht mit nur drei Anträgen, die sie seit 2021 überhaupt formuliert hat. CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD tragen eine Handvoll Anträge seit zum Teil bereits zwei Jahren immer und immer wieder vor und bringen sie letztlich, über Zermürbungstaktik, dann irgendwann durch. Und die FWG … nun, schauen wir auf die letzte, durchaus archetypische Gremienrunde vor der aktuellen Sommerpause:

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Dazu passt, dass jede der anderen Fraktionen zwar stolz die schiere Anzahl der eigenen Anträge in jeder Haushaltsrede zum Jahresende auflistet. Die tatsächliche Umsetzung dieser Anträge hält jedoch keine dieser Fraktionen konsequent nach. Der gestalterische Effekt verpufft daher, ehe er auch nur gezündet wurde.

Selbst Prüfanträgen, für die das ungeschriebene parlamentarische Gesetz gilt, dass man sie nur bei sehr schwerwiegenden Einwänden nicht mitträgt, können mittlerweile regelhaft nicht mehr als Basis für weiteres politisches Handeln eingesetzt werden: Die Verwaltung prüft prinzipiell dergestalt, dass nicht neutral-sachlich berichtet, sondern eine klare Empfehlung abgegeben wird; und dies sogar dann, wenn der Auftrag klar lautet, lediglich über technisch-faktische Machbarkeit zu berichten.

 

Fraktion Antragsnr. / Jahr Thema Abstimmungsergebnis
FDP
FWG
CDU Nr. 231 aus 2022 Resolution Sanierung von Bahntunnel,Straße Wörsdorf einstimmig angenommen, 3 Enthaltungen (u.a. ULI) Grund für Enthaltungen: Stadt Idstein hat keine Hoheit, Entscheidungsbefugnis über geforderte Maßnahmen
Bündnis 90/Die Grünen Nr. 157 aus 2023 Stolperschwelle Kalmenhof einstimmig angenommen
Bündnis 90/Die Grünen Nr. 147 aus 2021 Ideenwettbewerb Bebauung Wagenerstr. mehrheitlich abgelehnt 4/9/0
Bündnis 90/Die Grünen Nr. 158 aus 2023 Aufwertung Wohnmobilhafen gekürzt auf 2 von 5 Punkten, so gekürzt einstimmig angenommen
Bündnis 90/Die Grünen Nr. 316 aus 2021 Effektive Parkraumbewirtschaftung zurückgestellt
Bündnis 90/Die Grünen Nr. 118 aus 2023 Ergänzung Stadtbusverkehr erledigt durch Beschluß im Feb 2023
SPD Nr. 159 aus 2023 Erstellung Ruhebank-Kataster einstimmig zugestimmt
SPD Nr. 133 aus 2023 Umsetzung des gemeinsamen Antrags aller Fraktionen aus Feb 2023 einstimmig zugestimmt, daß der gemeinsam eingeschlagene Weg fortgeführt wird
ULI Nr. 061 aus 2023 Beantragung Fördermittel f. kommunalen Wärmeplan zurückgestellt, da ULI beleghafte Substantiierung der negativen Stellungnahme der Verwaltung fordert. In der StVV für erledigt erklärt, aufgrund des Zeitverzuges.
ULI Nr. 153 aus 2023 Verkehrsführung Wohnmobil-Hafen nicht aufgerufen wegen Länge der vorherigen Debatte im Ausschuss
ULI Nr. 152 aus 2023 Prüfantrag „Regionalwährung“ durch Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimme der ULI für erledigt erklärt wg. Negativ-Empfehlung d. Verwaltung
ULI Nr. 156 aus 2023 Prüfantrag „Möglichkeiten zur Attraktivierung Mehrweg-Verpackung bei ToGo“ zurückgestellt, da Verwaltung zunächst „andere Option“ prüfen möchte

Die ULI wird nicht müde werden, komplexe Themen zu adressieren und auch (uns ULIs) wenig überzeugende Anträge anderer ernsthaft auf das Potential zu Änderungsformulierungen zu prüfen, die den jeweiligen Antrag vielleicht zu einem für uns zustimmungs- oder insgesamt mehrheitsfähigen abändert.

Ob das geschilderte politische Procedere tatsächlich ein geeignetes ist, um Idstein auch über den Tag hinaus, für die kommenden Generationen, finanziell solide und mit klarem Blick für zukunfts- und krisensichere infrastrukturelle, soziale, ökologische und wirtschaftliche Herausforderungen aufzustellen, werden wir ULIs dabei immer wieder hinterfragen.

Die ULI ist nicht angetreten, um wohlfeile Versprechen abzugeben. Das müssen wir auch nicht, denn es drängt uns nicht in Kreis- oder Landtagsparlamente, es drängt uns nicht zur Macht um der Macht willen. Es drängt die ULI nur danach, vorausschauend und mit Augenmaß Idsteiner Lösungen für solche Themen zu finden, die uns als Gesellschaft im Großen wie im Kleinen zunehmend angehen.