Halbzeit !
Mit der aktuellen Sommerpause 2023 ist in etwa die erste Hälfte der aktuellen Wahlperiode bereits durchschritten, der ersten Wahlperiode, in der auch wir ULIs im Stadtparlament sitzen und uns nach Kräften bemühen, mit eigenen Innovationsimpulsen sowie diskursiven Beiträgen zu den Anträgen anderer Fraktionen die Zukunft für die Idsteinerinnen und Idsteiner enkeltauglich gestalten zu helfen.
Zur Erinnerung:
Die ULI hat sich gegründet, und ist zur Kommunalwahl 2021 das erste Mal angetreten, um für Idstein politisch etwas zu bewirken, das nicht für oder gegen ein bestimmtes politisches Dogma steht, sondern das durch neue Idee und andersartige Perspektiven versucht, politische Wirkkraft zu entwickeln, die für möglichst viele Idsteinerinnen und Idsteiner einen positiven Effekt hat.
Schon in der vergangenen Wahlperiode, in der wir nur aufmerksam während der Gremien zuhören, aber keine eigenen Ideen und Lösungsvorschläge vortragen durften, kam es uns ULIs so vor, als gäbe es nur einige wenige Themen, die die Fraktionen reiten, ohne aber die großen, komplexen Aufgaben anzugehen, die die Weichen für ein auch zukünftig gutes Leben in dieser Stadt mit ihren kleinen und größeren Ortsteilen stellen.
Solche großen Themen, die nicht in einem Wurf, mit einem einzigen Antrag zu adressieren sind, hat die ULI sich nicht gescheut, in ihr Wahlprogramm aufzunehmen. Seit wir unsere vier Mandate innehaben, arbeiten wir stetig mit viel Energie daran, diese dicken Bretter (neben allen anderen) auch zu bohren. Als Beispiel seien die Punkte „Lichtverschmutzung“ und „Bürgerräte“ genannt, für die wir auch außerhalb der politischen Gremien über entsprechende ULI-Veranstaltungen Sensibilität und verantwortungsvolles Handlungsbewusstsein schaffen.
Dass politische Mit-Gestaltung gerade für die ULI als eine der kleineren Fraktionen kein einfaches und ein oftmals mühevolles Unterfangen werden würde, war uns klar.
Wie ernüchternd es aber ist, immer ergebnisoffen in die Diskussionen unserer eigenen wie der Anträge der anderen Fraktionen zu gehen und zu versuchen, über eine echte und respektvolle Debattenkultur gemeinsam mit den anderen Fraktionen, um das beste und möglichst breit tragende Ergebnis zu ringen, war nicht absehbar.
„Stell Dir vor, Du hast nur das Ziel, völlig frei von Machtansprüchen und -allüren das Beste für die Bürgerinnen und Bürger dieser Kommune erarbeiten zu wollen, und keiner macht mit.“
Das mag etwas überspitzt an den alten Sponti-Spruch angelehnt sein, trifft aber unser zunehmend ärgerliches Erleben und Beobachten der Stadtpolitik bedauerlicherweise ziemlich gut:
Politische Mehrheiten bilden sich selten als Ergebnis von Denk-, Diskurs- und Debattenarbeit in den Ausschüssen und dem Stadtparlament, sondern selbst auf kommunaler Ebene erstaunlich oft aufgrund von Parteiräson und profaner Arithmetik, „gerne“ auch schon im Vorfeld der Debatte ausgehandelt.
Anträge, deren Umfang und Komplexität des womöglich resultierenden Auftrags an die Verwaltung über das ganz kleine Karo hinausgehen, werden regelhaft abgelehnt. Argument: Für so etwas habe die Verwaltung keine Kapazität (man spürt durchaus, dass „Kapazität“ eigentlich für ein anderes Wort steht…).
Merke: Die ULI ist die einzige der sechs Fraktionen in der Idsteiner Stadtverordnetenversammlung, die sich ausschließlich auf Idstein konzentriert und in keiner Form auf höherer politischer Ebene weisungsgebunden ist und/oder wie auch immer geartete Rücksichten auf z.B. bevorstehende Kreis-, Land- oder Bundestagswahlen nehmen muss.
Dazu passt, dass jede der anderen Fraktionen zwar stolz die schiere Anzahl der eigenen Anträge in jeder Haushaltsrede zum Jahresende auflistet. Die tatsächliche Umsetzung dieser Anträge hält jedoch keine dieser Fraktionen konsequent nach. Der gestalterische Effekt verpufft daher, ehe er auch nur gezündet wurde.
Selbst Prüfanträge, für die das ungeschriebene parlamentarische Gesetz gilt, dass man sie nur bei sehr schwerwiegenden Einwänden nicht mitträgt, können mittlerweile regelhaft nicht mehr als Basis für weiteres politisches Handeln eingesetzt werden: Die Verwaltung prüft prinzipiell dergestalt, dass nicht neutral-sachlich berichtet, sondern eine klare Empfehlung abgegeben wird; und dies sogar dann, wenn der Auftrag klar lautet, lediglich über technisch-faktische Machbarkeit zu berichten.
Meinungsbildung der Mandatsträger:innen qua Verwaltungsbericht – mehr als eine Fraktion fragt mittlerweile schon vor Eintritt in eine politische Debatte, manchmal sogar schon, bevor die antragstellende Fraktion ihren Antrag begründen durfte, was denn die Verwaltung von dem jeweiligen Vorschlag halte. „Ich möchte gerne die Verwaltungsmeinung hören, damit ich mein Abstimmungsverhalten danach ausrichten kann“, hat die ULI nicht nur einmal befremdet vernommen.
Die neueste Unsitte, die in den Gremien Schule zu machen beginnt (obwohl das ihrer Rolle als demokratischem Arbeits-Instrument widerspricht): Ein Magistratsmitglied verliest vor Eintritt in die politische Debatte einen von der Verwaltung erstellten Kurzbericht, oft genug (zeit-)notgedrungen kursorisch recherchiert. Daraufhin erklärt ein oder eine Stadtverordnete den Antrag umgehend für „erledigt“. Die antragstellende Fraktion, die womöglich noch gar keine Gelegenheit zur Begründung hatte, kann ihren Antrag damit vergessen. Die anderen Fraktionen haben vor dem Antrag ihre „Ruhe“, anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen und ihn, wenn sie ihn nicht mittragen oder mehrheitsfähig abändern können, zumindest in einem sauberen demokratischen Prozess abzulehnen.
Der Dreiklang aus mehrschichtigen Abhängigkeiten innerhalb verschiedener Partei-Ebenen (Kommune, Kreis, Land, Bund) sowie der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Ressourcenknappheit der Verwaltung und, schließlich, der fehlenden politischen Bereitschaft zur verwaltungsunabhängigen eigenen politischen Einordnung und Bewertung von neutral und ohne Einflussnahme zur Verfügung gestellten Fakten, Sachlagen und Gegebenheiten führen dazu, dass sich die Rollen der Akteure „Politik“ und „Verwaltung“ umkehren:
Sieht auch das Regelwerk der Hessischen Gemeindeordnung vor, dass politischer Gestaltungswille durch Verwaltungshandeln realisiert wird, so sind die Vorzeichen in Idstein oftmals exakt umgekehrt: Politische Ideen, von denen anzunehmen ist, dass sie Kapazitäten aus dem laufenden Tagesgeschäft der Verwaltung benötigen, werden entweder in vorauseilendem Gehorsam schon von den Stadtverordneten selbst abgelehnt – oder nehmen den Umweg über die Verwaltung, die entsprechende Negativempfehlungen ausspricht, wohl wissend, dass eine gute Chance besteht, dass eine Mehrheit der Stadtverordneten nachgerade dankbar ist, wenn sie sich keine eigene, womöglich anderslautende politische Meinung differenziert erarbeiten muss.
Es wundert mithin nicht, dass die Fraktionen immer weniger Anträge überhaupt noch selbst in die Sitzungsläufe einbringen. Die FDP bildet das parlamentarische Schlusslicht mit nur drei Anträgen, die sie seit 2021 überhaupt formuliert hat. CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD tragen eine Handvoll Anträge seit zum Teil bereits zwei Jahren immer und immer wieder vor und bringen sie letztlich, über Zermürbungstaktik, dann irgendwann durch. Und die FWG … nun, schauen wir auf die letzte, durchaus archetypische Gremienrunde vor der aktuellen Sommerpause:
Dazu passt, dass jede der anderen Fraktionen zwar stolz die schiere Anzahl der eigenen Anträge in jeder Haushaltsrede zum Jahresende auflistet. Die tatsächliche Umsetzung dieser Anträge hält jedoch keine dieser Fraktionen konsequent nach. Der gestalterische Effekt verpufft daher, ehe er auch nur gezündet wurde.
Selbst Prüfanträgen, für die das ungeschriebene parlamentarische Gesetz gilt, dass man sie nur bei sehr schwerwiegenden Einwänden nicht mitträgt, können mittlerweile regelhaft nicht mehr als Basis für weiteres politisches Handeln eingesetzt werden: Die Verwaltung prüft prinzipiell dergestalt, dass nicht neutral-sachlich berichtet, sondern eine klare Empfehlung abgegeben wird; und dies sogar dann, wenn der Auftrag klar lautet, lediglich über technisch-faktische Machbarkeit zu berichten.
Fraktion | Antragsnr. / Jahr | Thema | Abstimmungsergebnis |
FDP | — | — | — |
FWG | — | — | — |
CDU | Nr. 231 aus 2022 | Resolution Sanierung von Bahntunnel,Straße Wörsdorf | einstimmig angenommen, 3 Enthaltungen (u.a. ULI) Grund für Enthaltungen: Stadt Idstein hat keine Hoheit, Entscheidungsbefugnis über geforderte Maßnahmen |
Bündnis 90/Die Grünen | Nr. 157 aus 2023 | Stolperschwelle Kalmenhof | einstimmig angenommen |
Bündnis 90/Die Grünen | Nr. 147 aus 2021 | Ideenwettbewerb Bebauung Wagenerstr. | mehrheitlich abgelehnt 4/9/0 |
Bündnis 90/Die Grünen | Nr. 158 aus 2023 | Aufwertung Wohnmobilhafen | gekürzt auf 2 von 5 Punkten, so gekürzt einstimmig angenommen |
Bündnis 90/Die Grünen | Nr. 316 aus 2021 | Effektive Parkraumbewirtschaftung | zurückgestellt |
Bündnis 90/Die Grünen | Nr. 118 aus 2023 | Ergänzung Stadtbusverkehr | erledigt durch Beschluß im Feb 2023 |
SPD | Nr. 159 aus 2023 | Erstellung Ruhebank-Kataster | einstimmig zugestimmt |
SPD | Nr. 133 aus 2023 | Umsetzung des gemeinsamen Antrags aller Fraktionen aus Feb 2023 | einstimmig zugestimmt, daß der gemeinsam eingeschlagene Weg fortgeführt wird |
ULI | Nr. 061 aus 2023 | Beantragung Fördermittel f. kommunalen Wärmeplan | zurückgestellt, da ULI beleghafte Substantiierung der negativen Stellungnahme der Verwaltung fordert. In der StVV für erledigt erklärt, aufgrund des Zeitverzuges. |
ULI | Nr. 153 aus 2023 | Verkehrsführung Wohnmobil-Hafen | nicht aufgerufen wegen Länge der vorherigen Debatte im Ausschuss |
ULI | Nr. 152 aus 2023 | Prüfantrag „Regionalwährung“ | durch Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimme der ULI für erledigt erklärt wg. Negativ-Empfehlung d. Verwaltung |
ULI | Nr. 156 aus 2023 | Prüfantrag „Möglichkeiten zur Attraktivierung Mehrweg-Verpackung bei ToGo“ | zurückgestellt, da Verwaltung zunächst „andere Option“ prüfen möchte |
Die ULI wird nicht müde werden, komplexe Themen zu adressieren und auch (uns ULIs) wenig überzeugende Anträge anderer ernsthaft auf das Potential zu Änderungsformulierungen zu prüfen, die den jeweiligen Antrag vielleicht zu einem für uns zustimmungs- oder insgesamt mehrheitsfähigen abändert.
Ob das geschilderte politische Procedere tatsächlich ein geeignetes ist, um Idstein auch über den Tag hinaus, für die kommenden Generationen, finanziell solide und mit klarem Blick für zukunfts- und krisensichere infrastrukturelle, soziale, ökologische und wirtschaftliche Herausforderungen aufzustellen, werden wir ULIs dabei immer wieder hinterfragen.
Die ULI ist nicht angetreten, um wohlfeile Versprechen abzugeben. Das müssen wir auch nicht, denn es drängt uns nicht in Kreis- oder Landtagsparlamente, es drängt uns nicht zur Macht um der Macht willen. Es drängt die ULI nur danach, vorausschauend und mit Augenmaß Idsteiner Lösungen für solche Themen zu finden, die uns als Gesellschaft im Großen wie im Kleinen zunehmend angehen.
Sehr ernüchternd, Frau Anderegg,
Ihr Halbjahresresümee! Schade, doch hoffentlich nicht entmutigend, was das zukünftige Engagement von ULI betrifft.
Mir scheint das sonntägliche Landtagswahlergebnis dazu zu passen, möglichst weitestgehend alle so zu belassen wie es ist, hier und da etwas anzupassen, ggf. sogar zurück in die „guten alten Zeiten“. Doch wo bleibt die Zukunftsperspektive, die zu gestaltende nähere und weitere Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Wie könnte ein zukünftiges Idstein, 2030 oder 2040 aussehen? Was bedeutet dies dann für unser heutiges Denken und Handeln? Hier gäbe es doch viel zu tun.
Dies scheint aber im herkömmlichen repräsentativen Demokratiedenken, vieler ihrer Vertreterinnen und Vertreter, schwierig zu sein. Hier denke ich nur an die unsägliche Diskussion z.B. zu Bürgerräten, einer ergänzenden Form von Bürgerengagement, Bürgerkompetenz.
Braucht es andere Formen, die Menschen in Idstein mit ihren Sorgen, Ideen und Vorstellungen, ansprechen, Zukunft aktiv und bewusst zu gestalten? Weiter zu schauen als über den Bürgersteig, die Fahrstraße oder den Parkplatz für Reisemobile.
Sicherlich ein herausforderndes Unterfangen, doch unsere Zukunft birgt nicht nur Risiken, die vielen Menschen große Sorgen und Ängste, machen, sondern auch die Chance auf ein besseres, sicherlich aber anderes Leben.
Hier eine Denkgruppe zu beginnen, könnte vielleicht ein erster Schritt sein.
Die von der ULI beanstandete Situation, dass sich die „Rollen der Akteure „Politik“ und „Verwaltung“ (im Stadtparlament) umkehren“, ist anscheinend auch auf Bundes- und Landesebene anzutreffen: in der „Pressestimme“ zitiert der „Wiesbadener Kurier“ heute den „Nordbayerischen Kurier“ zur Gefährdung der Demokratie:
„Demokratie kostet allen Beteiligten Kraft. Sie ist kein Automat, der stets das gewünschte Ergebnis bringt. Fest steht, dass Politik gerade auf Bundes- und Landesebene besser werden muss. Viele Menschen haben den Eindruck, dass in manchen Ministerien die Technokraten die Herrschaft übernommen haben. Experten, die auf dem Reißbrett kluge Konzepte entwerfen, denen aber der „gesunde Menschenverstand“ für die Praxis fehlt. Diese Entfremdung zwischen Regierenden und Basis ist gefährlich. Die Demokratie darf nicht zur Technokratie werden.“
Gut das es die ULI gibt. Gäbe es sie nicht, müsste diese noch geschaffen (gegründet) werden.
Der excellente Beitrag von Frau Dr. Anderegg zeigt u.a. erschreckende Mängel der Demokratie auf. Hierbei entsteht für den Bürger der Eindruck, dass im Zuge der politischen Willensbildung die Befehlskette – so möchte ich es einmal nennen – zwischen Plenum und Verwaltung zunehmend verkehrt herum zu laufen scheint. Anders ausgedrückt: Es kann nicht sein, dass die Verwaltung mit ihren Stellungnahmen präjudizierend im Parlament notwendige Diskussionen und Entscheidungen vorwegnimmt und diese obsolet macht. Vom Entscheidungsträger zum Ausführenden und nicht umgekehrt, muss die Devise lauten. Ja, Demokratie ist anstrengend. Es geht nicht anders.
Armes Idstein…..leider schon seit vielen, vielen Jahren und keine Besserung in Sicht.
Wäre toll, wenn ihr zur nächsten BM-Wahl einen Bürgermeisterkandidaten organisieren könntet, der Motivation und Führung beherrscht.
Vielen Dank für diese treffende und umfangreiche Zusammenfassung, die leider und ernüchternder Weise nur allzu zutreffend ist.
Wir stehen vor solchen massiven, alle betreffenden und bedrohenden Problemen, daß man eigentlich erwarten sollte, daß alle, die dafür gewählt wurden, sich zusammen tun und unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit, eventuell möglichen Pressemitteilungen, künftiger Mehrheiten, etc. GEMEINSAM und SACHLICH um die bestmöglichen Wege ringen.
Eine solche Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit würde auch gleichzeitig den Extremisten den Wind aus den Segeln nehmen.
Sehr beeindruckend, Frau Anderegg, Ihre Aufbereitung der im Idsteiner Stadtparlament gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen – und sehr aufschlussreich!
Als interessierte Wählerin wünsche ich mir ja, daß in einem demokratischen kommunalen Prozess die eingebrachten Anträge eine Chance haben, die Aufmerksamkeit zu finden, die dem ihnen inne wohnenden begründeten Interesse zugrunde liegt, und dass Innovationsimpulsen konstruktiv begegnet wird!
Gerade „im Kleinen“ besteht die große Chance, spürbar ein verantwortungsvolles Handlungsbewusstsein erkennen zu lassen, das nachhaltig zu der Gestaltung einer „enkeltauglichen“ Zukunft beiträgt!
Der ULI viel Glück und Erfolg beim weiteren Verfolgen ihrer so ehrenwerten Ziele!
Macht weiter so , danke