Vergebene Liebesmüh‘

Vergebene Liebesmüh‘

Das Hofgut Gassenbach, seine bisherige wie seine mögliche  zukünftige Bedeutung in und für Idstein beschäftigen Stadt und Kommunalpolitik schon seit vielen Jahren.

Das Hofgut wurde vor über 200 Jahren als erste landwirtschaftliche Versuchsanstalt überhaupt genutzt und hatte seit Mitte des 19. Jahrhundert als Reformprojekt Vorbildcharakter – aber auch eine ganz handfeste Aufgabe: Auf dem Gassenbacher Hof wurde am Beispiel des Ballungsraums Frankfurt/Wiesbaden erkundet, wie ein solcher städtischer Raum, den immer mehr Menschen und immer weniger landwirtschaftliche Flächen prägen, aus der Region versorgt werden kann. Die Landwirtschaftliche Schule in der Grunerstraße (heute in Privatbesitz) sowie ihr Pedant in Usingen wurden von jungen Menschen aus ganz Deutschland besucht, um sich mit neuen, damals ebenso revolutionären wie wegweisenden Anbautechniken vertraut zu machen.

Außerdem unterstützte der Gassenbacher den Kalmenhof bis 1933 bei der Umsetzung der Idee „des praktisch Bildbaren“: Heute würden wir sagen, der Gassenbacher war für Menschen mit Einschränkungen eine Einrichtung des Zweiten Arbeitsmarktes, der diesen Menschen eine Chance auf Erwerbstätigkeit gegeben hat und ihnen somit ein Stück wertvolle Selbstständigkeit erlaubte sowie ihr Selbstbewusstsein in der Gesellschaft stärkte.

Ein ungeheuer modernes Konzept, das die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt stützte und stärkte – dabei heute noch so aktuell und notwendig wie je.

Seit Jahren liegt das Hofgut verlassen, die zum Teil denkmalgeschützten Bauten, u.a. das prächtige Torhaus, verfallen zusehends. Seit 2018/19 denken verschiedene Menschen mit und ohne politisches Mandat sehr konkret darüber nach, wie der Gassenbacher Hof in modernem Gewand zum Wohle der gesamten Stadtgesellschaft wiederbelebt werden kann.

Unabdingbar ist hierfür natürlich, dass die Liegenschaft zunächst vom jetzigen Eigentümer, dem Landeswohlfahrtsverband (LWV) in die Hände der Stadt Idstein (oder ihrer Stadtentwicklungsgesellschaft STEG) oder in gemeinnützige Hände übergeht.

Um mit dem LWV in entsprechende Verhandlungsgespräche zu treten, wurde vor Jahren eine Magistratsarbeitsgruppe gegründet. Im Ergebnis erreichte diese Arbeitsgruppe einen Vorverhandlungserfolg mit dem LWV, der in die vorgelegte Magistratsvorlage vom 28.05.2024, die seither mehrfach in den politischen Gremien debattiert, kritisiert, zurückgewiesen und wieder neu vorgelegt wurde. Die klare Mehrheit, die einem solchen Projekt fraktionsübergreifend eigentlich gewünscht werden muß, zeichnete sich bislang nicht ab.

Das hat unsere Fraktion der ULI veranlasst, alle bislang in den Debatten vorgetragenen Bedenken und Risiken ULI-intern kritisch-konstruktiv zu bündeln und angemessen zu würdigen; und zwar mit dem klaren Ziel, einen neuen Weg zu erarbeiten, der einen Erwerb des Hofguts auf rechtlich und  operativ mögliche sowie politisch sinnvolle Art ermöglicht, dabei aber die Stadtkasse (und damit die Steuerzahlenden) möglichst gering  belastet und jegliches wirtschaftliche Risiko für die Öffentliche Hand weitgehend minimiert.

Klang erstmal wie die Quadratur des Kreises – ist aber mit vertragsrechtlichen Werkzeugen, die üblicherweise in der Privatwirtschaft für derartige Situationen verwendet werden, gar kein Hexenwerk. So kann man es dann auch in dem ULI-Änderungsantrag zur o.g. Drucksache nachlesen.

 

Wie kann dem ULI-Änderungsantrag die Quadratur des Kreises gelingen?

Es ist natürlich grundlegend wichtig, dass der bislang nur grobe Umriß der zukünftigen Nutzung des Hofguts im Sinne des Allgemeinwohls für alle Idsteinerinnen und Idsteiner mit seiner tatsächlicher privatwirtschaftlicher Attraktivität abgeglichen wird. Dies gelingt in der Kontaktaufnahme mit privatwirtschaftlichen Interessenten, die das Hofgut entwickeln und ggf. auch betreiben wollen. Dabei gewinnt die Stadt, quasi ohne weitere eigene Mühe, Zugang zu ihr bislang unbekannten und unabhängig von den Magistratsgedanken entwickelten Ideen Dritter und zu einem umsetzungsrelevanten privatwirtschaftlichen Netzwerk, ohne das eine solche Projektierung, Entwicklung und erfolgreiche „Bespielung“ nicht möglich ist.

In dem von der ULI vorgeschlagenen Konstrukt kauft dann zunächst die STEG den Gassenbacher Hof mit all seinen unbebauten Ländereien – schon, weil diese für die Renaturierung der Wörsbach-Aue, das stadtklimatisch so wichtige Projekt „Grün-Blaues Band“, das die Erholungsqualität Idsteins hoch attraktiv stärken will … übrigens ein Aspekt in der Debatte um den Kauf des Gassenbachers, der leider von keiner der anderen Fraktionen im Parlament angemessen (meist gar nicht) gewürdigt wird, bedauerlicherweise.

Der Erwerb erfolgt gemäß des ULI-Antrags durch Einbringung hierfür bereits beantragter und sogar bewilligter Fördermittel. Anschließend wird aus den Interessenten, mit denen entsprechende Vorgespräche geführt wurden, ein Entwickler und ggf. auch zukünftiger Betreiber ausgewählt, der das vorabgestimmte Projekt im Sinne der Allgemeinnützigkeit für die Stadtgesellschaft realisiert. Ein geeigneter Partner könnte eine gGmbH oder eine Genossenschaft sein. Eine Absicherung dagegen, dass der Partner seine „Lust an der Gemeinnützigkeit“ nochmal überdenkt, z.B. weil er letztlich doch nur Gewinnmaximierungsinteresse hat, kann über einen Fördermittelvertrag erreicht werden, der zwischen STEG und Projektentwickler abgeschlossen wird.

Die Ernsthaftigkeit des Entwicklungspartners soll gemäß unseres Vorschlags über das sog. Erstangebotsrecht oder Right of First Offer (ROFO) gesichert werden. Das wirtschaftsübliche Instrument des ROFO bietet zahlreiche Vorteile für denjenigen, der das „Handelsgut“ besitzt, in unserem Fall also für die STEG:

A

Generierung einer frühzeitigen Einnahme durch eine Optionszahlung an die städtische STEG, was gleichzeitig die Verbindlichkeit des Interesses beim Entwicklungspartner erhöht

A

Weitgehende Kontrolle der STEG über Vertragsverhandlungen mit dem privatwirtschaftlichen Interessenten, der das ROFO innehat:

N

Das ROFO-Recht muss innerhalb einer festgelegten Frist ausgeübt werden und verfällt ansonsten.

N

Die STEG erhält die Möglichkeit, finanzielle und nicht-finanzielle Mindestanforderungen für dieses Angebot des Interessenten festzulegen. D.h. die STEG bleibt konzeptionell-gestalterisch auch nach Vertragsabschluß beteiligt.

N

Die STEG hat die Möglichkeit, das Erstangebot abzulehnen und die Liegenschaft, nach Maßgabe der vertraglichen und rechtlichen Vereinbarungen des ROFO-Abkommens) auf dem offenen Markt anzubieten; oder sogar selbst zu entwickeln.

Die ULI hat angeboten, diesen risikominimierenden Änderungsantrag zunächst in den zuständigen Arbeitsgremien zu beraten, da das Konstrukt sicherlich davon profitiert, noch einmal von allen Fraktionen ernsthaft und kritisch beleuchtet und gemeinsam durchdacht zu werden. So hätte die gute Chance bestanden, eine breite Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg für den Kauf des Gassenbacher Hofes gewinnen zu können.

Allerdings war das den Fraktionen von CDU, SPD und FDP entweder zu mühsam oder zu lästig oder es gab noch ganz andere Gründe, auf der zuvor geäußerten Ablehnung des Kaufs zu beharren. Am finanziellen Risiko, das als Argument von diesen Fraktionen vorgebracht wurde, kann deren Ablehnung allerdings tatsächlich nicht gelegen haben – denn genau dieses Risiko würde durch den ULI-Änderungsantrag bis zum äußersten minimiert. Und dass unser Antrag schlicht nicht verstanden wurde, wollen hier ausdrücklich nicht unterstellen.

An was auch immer CDU, SPD und FDP ihre Ablehnung festgemacht haben, bleibt ihr Geheimnis. Klar hingegen ist, dass die Realisierung der Renaturierung des Wörsbaches in weite Ferne gerückt ist, deren Wichtigkeit gerade die vorgenannten Fraktionen immer wieder als äußert wichtig deklariert haben. Waren dies etwa nur wahlkampftaugliche Lippenbekenntnisse – denn ein bißchen Öko schadet ja selbst denen, die „linken und Ökospinnern“ attestieren, sie hätten nicht alle Tassen im Schrank?

Auch das Schicksal des bebauten Geländes liegt nun weiterhin in den Händen Dritter.

Der LWV als Eigentümer wird die Immobilie in einen Ausschreibungsprozess mit ungewissem Ausgang geben. Die Hoffnung, dass die Stadt Idstein durch ein Bauleitverfahren „Herrin des Verfahrens“ bleiben könne, ist so trügerisch wie das vorgenannte Bekenntnis zum Grün-Blauen Band eines ohne nennenswerte Halbwertzeit ist; denn ein potenzieller Investor wird vom LWV keine Liegenschaft kaufen, für die es keine Bauleitplanung gibt, die sein (mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gemeinnütziges) Projekt ausdrücklich ermöglicht.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, Fakt bleibt: Aus dem nicht näher substantiiert dargelegten Unwillen von CDU, SPD und FDP heraus wurde die große Chance vertan, den ersten, aber entscheidenden Schritt zu einer tragfähigen Lösung für die Wiederherstellung des Gassenbacher Hofes in zeitgemäßem konzeptionellen und geschichtsgemäßen baulichen Gewand zu gehen.

Generationengerechtigkeit

Generationengerechtigkeit darf kein Wahlkampfopfer sein

Alle Jahre wieder steht am Ende des Kalenderjahres die politische Debatte um die Haushaltsplanung für das kommende Jahr.

Alle Jahre wieder wird, zunehmend intensiv, um gute Lösungen gerungen, denn die noch zu Beginn der Wahlperiode recht ansehnlichen Rücklagen der Stadt Idstein schwanden über die Jahre 2021 – 2024 dahin.

Und alle Jahre wieder versuchen die Fraktionen des Stadtparlaments natürlich, für diejenigen Aufgaben der Öffentlichen Hand Schwerpunkte zu setzen, die sie je nach eigener politischer Sichtweise als besonders wichtig für die Zukunftsfähigkeit der Kommune ansehen.

Wenn jedoch, wie in der vorläufigen Planung am Beginn diesjährigen Debatte, die Kassen auf dem Papier so leergeräumt sind, dass gerade noch EUR 30.020 in den außerordentlichen Rücklagen verbleiben, dann ist das Gebot der Stunde für alle Mandatsträger:innen, über die Fraktionsgrenzen hinweg: Sparen!

Oder zumindest sollte das für alle im Vordergrund stehen. Was es, auch indirekt, für Risiken birgt, wenn dieses Gebot missachtet wird, hat unsere Fraktionsvorsitzende Ursula Oestreich in ihrer Haushaltsrede sehr deutlich herausgestellt.

Ein jeder Haushaltsplan steht unter der obersten Prämisse der finanziellen Generationengerechtigkeit. Das bedingt zwingend „eine verantwortungsvolle und nachhaltige Finanzpolitik in der Gegenwart […], um die finanzielle Freiheit künftiger Generationen zu gewährleisten“, wie man beim Statistischen Bundesamt im Detail nachlesen kann.

Wie die Fraktion der SPD in diesem Kontext auf den Gedanken kommen konnte, den vorgeschlagenen Grundsteuer-Hebesatz derart zu senken, dass die Aufkommensneutralität gegenüber den Vorjahren nicht gewährleistet ist, hat sich wohl nur ihr erschlossen. Es wäre politisch fahrlässig, bei derart auf Kante genähtem Haushaltsplan auch noch eine der wenigen Einnahmequellen, die Grundsteuern, so zu senken, dass die kommunalen Einnahmen unter diejenigen der Vorjahre fallen.

Das hat unser Fraktionsmitglied Dr. Birgit Anderegg in ihrer Reaktion auf den SPD-Antrag auch sehr deutlich gemacht, so dass es für ihn vernünftigerweise keinerlei Unterstützung gab.

Womöglich fiel ja der Vorstoß der SPD unter die Stichworte „Wahlkampf“ oder sogar „Wahlversprechen“, die der ULI auch bei anderen Anträgen in den Sinn kamen: Wer auf Bundesebene um Wähler:innenstimmen kämpft, der agiert auch auf kommunaler Ebene entsprechend.

Selbst angesichts des faktisch fehlenden Raums für freiwillige finanzielle Leistungen der Kommune haben die wahlkämpfenden Parteien den Kopf vor dem Unvermeidlichen in den Sand gesteckt: Strikte finanzielle Einsparungen oder sogar Streichungen – Fehlanzeige. Wer mag schon nüchtern darlegen, wie wenig großzügig die Öffentliche Hand nur noch sein kann, wenn man im Februar als die attraktivste Partei erscheinen will?

Der Forderung der CDU, auch in 2025 den EMIL-Fahrpreis massiv zu subventionieren, mochte daher auch nur die ULI etwas entgegensetzen. Selbstverständlich versuchen auch wir, den ÖPNV für Nutzer:innen möglichst kostengünstig zu gestalten. In mageren Zeiten wie den aktuellen ist ein Budget von EUR 80.000 – 85.000, die die städtische Bezuschussung des EMIL-Fahrpreises mindestens kostet, aber schlicht nicht mehr darstellbar. Sehr bedauerlich, dass außer der uns niemand bereit ist, diese bittere Wahrheit ehrlich in der Bevölkerung zu kommunizieren.

Haben die vorgenannten Anträge von SPD und CDU als „Wahlgeschenke“ noch eine gewisse Logik, bleibt komplett unverständlich, warum der Betrag von satten EUR 400.000 für die Erweiterung des Wohnmobilhafens nicht nach 2026 verschoben wurde, wie von der ULI beantragt:
Auch wenn wir uns der jubilierenden Stimme der Grünen zu diesem „Vorzeigeprojekt“ ja durchaus im Prinzip anschließen, so hat die Verwaltung klar und deutlich bestätigt, dass das Erweiterungsprojekt erst in 2026 begonnen werden wird. Warum also wollen die anderen Fraktionen diesen Betrag ausdrücklich schon im Haushalts 2025 einplanen? Nun kann natürlich ein großes (aber unnötig eingeplantes) Budget Ende 2025 auch als Ausweis vermeintlicher Sparsamkeit deklariert werden: „Schaut her, wie gut Bürgermeister und Verwaltung gewirtschaftet haben: Haben wir doch tatsächlich am Jahresende EUR 400.000 weniger als geplant ausgegeben.“ – Die ULI mag ein Schelm sein …

… für uns sieht echte Sparsamkeit für echte Generationengerechtigkeit anders aus:

Wir freuen uns sehr, dass wir es geschafft haben, ein längst überfälliges und der Dorfgemeinschaft von Lenzhahn schon in der letzten Wahlperiode zugesagtes Projekt jetzt endlich auch budgetär auf Schiene gesetzt zu haben: Für das komplett marode Lenzhahner DGH ist durch Initiative der ULI nun eine Summe von EUR 150.000 im Haushalt 2025 vorgesehen, um die Planung und Umsetzung von DGH-Sanierung/-Neubau nun endlich zu initiieren. Und das, ohne dass diese Summe dem Haushalt 2025 aufgebürdet wird; sie wird statt dessen aus dem Haushalt 2024 übertragen.

So sieht Generationengerechtigkeit nach ULI-Lesart aus:

Ohne den Haushalt, und damit die finanzielle Handlungsfähigkeit kommender Generationen, über Gebühr zu belasten sehr konkrete Projekte politisch und finanziell ermöglichen, von denen (auch) die Jugendlichen umgehend und direkt profitiert, indem sie hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft in einen neuen (oder frisch schimmelsanierten) Jugendraum einziehen können.

Mandatswechsel in der Fraktion der Unabhängigen Liste

Mandatswechsel in der Fraktion der Unabhängigen Liste

Seit der Kommunalwahl 2021 gehört Dr. Birgit Anderegg der ULI-Fraktion in der Idsteiner Stadtverordnetenversammlung an und legt nun zum 15. Dezember 2024 ihr Mandat nieder.

Mit großem Engagement und Sachverstand arbeitete sie ebenfalls als Ausschussmitglied im KUBA (Klimaschutz-, Umwelt- und Betriebsausschuss) mit und gehörte als stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin dem Ältestenrat an. Darüber hinaus war Frau Dr. Anderegg im KAUN Kommunaler Arbeitskreis für Umwelt- und Naturschutz, der Kommission für Land- und Forstwirtschaft, im Abwasserverband Idstein, dem Arbeitskreis „Runder Tisch Stadtklima und Klimaanpassung“ und dem Fahrgastbeirat aktiv. Für ihre geleistete Arbeit bedanken wir uns bei Birgit Anderegg sehr herzlich.

Frau Dr. Anderegg wird auch weiterhin aktiv die Fraktion unterstützen und reicht nun den Fraktionsstaffelstab an Manuela Ferschke weiter.

Manuela Ferschke war bis 2022 als Mitglied im Stadtelternbeirat aktiv gewesen und vertritt die Unabhängige Liste seit Juli 2023 gemeinsam mit Stadtrat Joachim Mengden in der Lenkungsgruppe “KiTa-Gebührensatzung/Benutzungsordnung“.

Aufgrund dieser Erfahrungen und der Erfahrungen durch ihr Engagement bei der DLRG war es naheliegend, daß sie die Unabhängige Liste im AJKSS (Ausschuss für Jugend, Kultur, Sport und Soziales) vertreten wird. Wir wünschen ihr gutes Gelingen und viel Erfolg.

Manuela Ferschke

Dr. Birgit Anderegg

Post aus Hamburg

Bei allen Diskussionen rund um die Beibehaltung des Straßennamens der Rudolf-Dietz-Straße, ist uns wieder deutlich vor Augen geführt worden, dass alles Formale auch immer etwas Menschliches hat. Menschliches jenseits persönlicher Befindlichkeiten, die nichts zur Sache betragen.

Wir waren sehr überrascht und haben uns sehr gefreut, als wir unlängst in unser Email-Postfach schauten und dort eine Email vorfanden, aus der wir jetzt gerne zitieren:

 

Sehr geehrte Frau Oestreich und Mitstreiterinnen,

durch Zufall stieß ich auf Ihre Internetseite und las von Ihrem Einsatz für die Umbenennung der Rudolf-Dietz-Straße und damit auch von der Aufarbeitung der Idsteiner NS- Zeit insbesondere den Kalmenhof betreffend. Ich bin die Tochter von Pfarrer Siebert aus Heftrich und weiß von ihm von der Geschichte, ich war als Kind auch mit auf der Studienfahrt nach Polen, wo wir Herrn Skrzypek kennenlernten ( ich war allerdings viel zu klein um alles zu verstehen) .

Mir kamen ein paar Tränen in den Augen, als ich las, dass es sogar den Vorschlag gab, die berüchtigte Straße in Pfarrer- Siebert- Straße umzubenennen. Mein Vater hätte sich über diese Form von Anerkennung sehr gefreut! Nach so vielen Jahren gibt es im Idsteiner Raum immer noch Leute, die sich an sein Engagement erinnern, wie schön ist das!

Den nachfolgenden Antrag, die Straße nach Frau Ruth Pappenheimer zu benennen hätte er aber in jedem Fall noch besser gefunden. Die Erinnerung an eine von den Nazis Ermordete Kalmenhofinsassin hätte er natürlich viel wichtiger gefunden als an seine eigene Person.

Von meiner Seite wollte ich meine Rührung ausdrücken über diese Geste, mit ein paar Tränen und auch einem Lachen, weil – so kenne ich meinen Vater- ein unruhiger Geist , der nicht aufhört, ihm wichtige Botschaften, gegen das Vergessen, zu senden.

Herzliche Grüße aus Hamburg

Sarah Siebert

Hamburg, 18.10.2024

Liebe Frau Oestreich, vielen Dank für Ihre nette Antwort!

Ich freue mich, dass ich durch Ihre Aktion wieder meine Erinnerungen wecke , z.B. an die Polenreise. Ich war zwar klein, aber ich hab doch verstanden, dass dort in Auschwitz das Allerschrecklichste passiert ist und zwar von Unvorstellbarem Ausmaß. Das hat mich auf jeden Fall nachhaltig geprägt. Und ich glaube, dass diese Reise für alle Teilnehmenden zur Entwicklung eines politischen Bewusstseins beigetragen hat. Ich kann mich gut an die Betroffenheit erinnern, an die Sprachlosigkeit in Anbetracht dieses Grauens. Und wie muss sich das angefühlt haben, nach der Rückkehr ins beschauliche Idstein, von einem Holocaustüberlebenden erfahren zu haben, dass dort in nächster Nähe die Nazi-Mordmaschinerie auch unvorstellbare Verbrechen begangen hatte.

Für meinen Vater war die Erinnerungspolitik sein Leben lang eine Herzensangelegenheit, und es waren für ihn doch auch immer die kleinen Dinge, die in der Summe zählen. Auf lokaler Ebene, im Dorf, bei den Nachbarn, im Konfirmandenunterricht-aufzuklären – Menschen zusammenbringen, Vorurteile abzubauen. Das hat er auch in seinen Predigten als Pfarrer immer versucht. Dadurch hat er sich nicht nur Freunde gemacht – im Idsteiner Umkreis, aber er liess sich nicht einschüchtern.

Auch wenn keine Straße nach ihm benannt wird, er bleibt ein Wegweiser. Und zur Einweihung der Ruth- Pappenheimer- Straße würde er – wenn er noch leben würde – vielleicht ja auch  Hasko, Falko, Henry, Bettina und wie sie sonst hiessen, seine ehemaligen Konfirmanden, die damals mit in Polen waren – auf ein Bier in Idstein treffen.

Herzliche Grüße in den schönen Taunus!

Sarah Siebert

Hamburg, 25.10.2024

Von denen, die auszogen, eine falsche Entscheidung zu korrigieren

Im Jahr 1962 bestand auf der Ebene der westdeutschen Bundespolitik ein antifaschistischer Konsens. Im gleichen Jahr beschlossen der Magistrat unter Leitung von Bürgermeister Schreier und das Idsteiner Stadtparlament eine Magistratsvorlage, die die Benennung einer Idsteiner Straße in „Rudolf-Dietz-Straße“ zum Ziel hatte.

Nun, 62 Jahre später, hatten sich die Stadtverordneten mit der Umbenennung dieser Straße zu beschäftigen.

Voraus ging dem Ganzen am 22.11.2023 eine Informationsveranstaltung für die ca. 60 Anliegerinnen und Anlieger. Wie dem Protokoll der Veranstaltung zu entnehmen ist, nahmen sieben Anliegerinnen und Anlieger sowie zwei Vertreter der Eigentümergesellschaft neben etlichen Vertreterinnen und Vertretern aus Magistrat, Stadtverwaltung und Gremien teil. Weiter ist im Protokoll zu lesen, „dass sich die Anwohner mehrheitlich für den Weg des geringsten Aufwandes und der geringsten Kosten entschieden haben.“ Von einer historischen Betrachtung, geschweige denn historischen Verantwortung, einen ausgewiesenen Nationalsozialisten und Antisemiten mit einer Straßenbenennung nicht zu ehren, ist nicht die Rede – obwohl in der Veranstaltung sogar Beispiele der Schmähwerke des sogenannten Heimatdichters gezeigt wurden.

Die ULI hatte einen Änderungsantrag zur Namensänderung eingebracht, der zunächst die Umbenennung in „Pfarrer-Siebert-Straße“ zum Ziel hatte. Bereits im Ausschuss wurde das Thema Umbenennung sehr intensiv diskutiert. Mit großer Eindringlichkeit trug der Ortsvorsteher Idstein-Kern Dr. Brünger seine Position vor. Er bezeichnete sie als schwierig, da er abzuwägen hatte zwischen seiner persönlichen Einstellung und der Empfehlung des Ortsbeirates (der Ortsbeirat hatte mit Ja: 3 Nein: 8 Enthaltung: 0 die Umbenennung abgelehnt).

Geschäftsordnung für Ortsbeiräte

§ 2 Rechte und Pflichten

(1) Zu den vornehmlichen Aufgaben der Ortsbeiräte gehört es, die Beziehungen zwischen der Stadt Idstein und der Bürgerschaft zu fördern sowie Kontakte zu den im Ortsbezirk ansässigen Vereinigungen zu pflegen.
(2) Die Ortsbeiräte können zu allen Fragen, die den Ortsbezirk angehen, Anregungen und Vorschläge unterbreiten.
(3) Die Ortsbeiräte nehmen zu denjenigen Fragen Stellung, die ihnen von dem Magistrat oder der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt werden.
(4) In wichtigen Angelegenheiten, die den Ortsbezirk betreffen, ist der Ortsbeirat zu hören. Angelegenheiten, die insbesondere als wichtige Angelegenheiten anzusehen sind, werden in einer zwischen dem Magistrat und den Ortsbeiräten abgestimmten Auflistung festgelegt.
(5) Zu allen Angelegenheiten, über die der Magistrat beschließt, ist der jeweilige Ortsbeirat zu unterrichten. Im übrigen sind alle Anhörungen und Unterrichtungen durchzuführen, die in den bestehenden Grenzänderungsverträgen geregelt sind.

Nun muss man wissen, dass die Beschlüsse des Ortsbeirates für den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung nicht bindend sind, aber bei den Beratungen eine wichtige Rolle einnehmen sollen. Eine wichtige Rolle hat die Empfehlung eingenommen, jedoch gaben ULI und Bündnis 90/Die Grünen der Diskussion neue Impulse. Wir wiesen sehr konkret auf die nationalsozialistische und antisemitische Haltung des Strassennamensgebers hin und darauf, welche Auswirkungen diese in der seinerzeitigen Gesellschaft Mitte/Ende der 1920er Jahre hatte. Dabei haben wir mehrfach betont, dass wir größten Wert auf ein Zusatzschild legen, das über die Hintergründe der Umbenennung informiert. Geschichtsvergessenheit läßt sich die ULI bestimmt nicht vorwerfen.

Die Argumentation gegen die Umbenennung bestand hauptsächlich in dem Versuch, die Person Pfarrer Sieberts zu diskreditieren; flankiert von der Unterstellung, die ULI wolle die nationalsozialistische Geschichte verschwinden lassen. Man solle sich doch auf die Umsetzung des Bürgerwillens und des Beschlusses des Ortsbeirates konzentrieren. Außerdem beschworen CDU und FDP mehrfach die vermeintliche Gefahr der steigenden Politikverdrossenheit, die sich angeblich zwangsläufig aus der Umbennung der Straße ergeben würde. Der Ausschuss empfahl der Stadtverordnetenversammlung mit fünf Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen die Umbenennung abzulehnen.

Zur Stadtverordnetenversammlung modifizierten wir unseren Änderungsantrag, dem sich Bündnis 90/Die Grünen und die SPD anschlossen und der somit als gemeinsamer Antrag eingereicht wurde.

Eine beschämende Diskussion nahm ihren Lauf. Je länger sie dauerte, desto würdeloser wurde sie. Unwahrheiten wurden verbreitet: „Es ist das Recht des Ortsbeirates, Straßen umzubenennen.“ oder „Die Geschichte soll negiert werden“. Wir wollten am liebsten manchem Stadtverordneten zurufen: „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken!“

Eine demokratische Entscheidung war selten so schwer auszuhalten.

Ich habe mich geschämt, ein Mitglied dieser Stadtverordnetenversammlung zu sein.

Ursula Oestreich

Fraktionsvorsitzende, Unabhängige Liste

Unter kaum beherrschbaren Tränen verstieg sich der Fraktionsvorsitzende der FWG letztlich sogar dazu, um Vergebung im christlichen Sinne zu werben. Vergebung? Für einen Mann, der willentlich seine jüdischen Mitmenschen verunglimpfte und damit frühzeitig den Boden für den tödlichen braunen Antisemitismus bereitete? Der Adolf Hitler und den von den Nationalsozialisten propagierten Führerkult verehrte? Der junge Menschen indoktrinierte im Sinne des nationalsozialistischen, menschenverachtenden Weltbildes?

Gelebte Demokratie bedeutet aber natürlich auch: Abstimmungen erfolgen nur unter anwesenden Stadtverordneten. Es ist den Befürwortern der Umbenennung ULI, Bündnis 90/Die Grünen und SPD weniger gut gelungen, krank gemeldete Fraktionsmitglieder zur Erreichung der rechnerisch möglichen Mehrheit zu aktivieren als der CDU, deren entschuldigte Mandatsträger letztlich doch zur Abstimmung in die Stadthalle kamen. Diesen Fakt anzuerkennen, ist gerade bei einem so wichtigen Thema eine bittere Pille, aber demokratisches Gebot.

Die namentliche Abstimmung ergab 21 Stimmen gegen die Umbenennung und 20 Stimmen für die Umbenennung.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung finden Sie am Ende des Beitrages.

Herr Stadtverordnetenvorsteher –
Liebe Kolleginnen und Kollegen –
Liebe Gäste –

Wir haben heute einen Punkt auf der Tagesordnung, der im Grundsatz schon lange in unserer Gesellschaft angekommen ist.

Wie stellen wir uns zu unserer deutschen Vergangenheit und deren Auswirkungen bis heute – was haben wir gelernt und verstanden – damit meine ich u. a. Ausgrenzung von Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen.

Worüber beraten wir heute?
Wer wird seit Anfang der 60ziger Jahre mit einem Straßenschild in Idstein geehrt?

Rudolf Dietz wird uns heute als Lehrer, Schulbuchautor und Heimatdichter vorgestellt. Jedoch war er auch Mitglied der NSDAP und des völkisch-faschistischen, rassistischen und antisemitischen Deutschbundes. Seine bereits ab den 1920er Jahren publizierten antijüdischen Gedichte, bereiteten im Kleinen den Nährboden für das zunehmend um sich greifende Gedankengut des Nationalsozialismus.

Warum Nährboden? Es gab viele Rudolf Dietz in Deutschland.

Nach der Machtergreifung trat Rudolf Dietz in Schulen auf, um dort vor allem jene Gedichte vorzutragen, die die Diktatur stützten, Menschen jüdischen Religionsbekenntnisses aber verunglimpften. Um seine Gedichte vortragen zu können, diente Dietz sich offensiv bei den Nationalsozialisten und den regionalen Schaltstellen der Macht an sowie profitierte er auch wirtschaftlich von seiner Geisteshaltung.

Ruth Pappenheimer würde am 8. November 99 Jahre alt.

Sie galt dem NS-Regime als Halbjüdin, darüber hinaus wurde sie schon früh in das Schema der Asozialen eingepresst und nach dem frühen Tod der Mutter der Fürsorgeerziehung übergeben. Ruth Pappenheimer wurde im Alter von 18 Jahren kurz vor ihrer Entlassung aus der Fürsorgeerziehung auf den Kalmenhof verbracht und im dortigen Krankenhaus am 20. Oktober 1944 von dem Arzt Hermann Wesse durch die Verabreichung von Morphium-ermordet. Ihre Ermordung gilt als Beispiel dafür, dass auch geistig und körperlich vollkommen gesunde Kinder und Jugendliche im Kalmenhof ermordet wurden, wenn sie sich nicht in das NS-Rassekonstrukt einfügen ließen.

Ruth Pappenheimer wurde auf dem Kalmenhof-Friedhof anonym verscharrt. Die Lage ihres Grabes ist bis heute unbekannt.
Grund genug, um Ruth Pappenheimer stellvertretend für die vielen Ermordeten im Kalmenhof zu ehren.

Nichtsdestotrotz soll ein Zusatzschild über den historischen Hintergrund informieren und gleichzeitig den Wandel der gesellschaftlichen Haltung dokumentieren, der sich seit den 1960ziger Jahren vollzogen hat.

Um es ganz klar zu sagen:
Es geht nicht darum, vermeintlichen Bürgerwillen umzusetzen, dem es am Ende zu viel ist, persönliche Ausweispapiere und die Adresse zu ändern –
sondern, dass wir als Stadtverordnete für 12 Stadtteile abzuwägen haben.

Darüber hinaus ist es an der Zeit, sich nicht nur in Absichtserklärungen zu ergehen, sondern eine klare Position und Haltung aufkommenden populistischen Strömungen entgegenzustellen.

Wir alle anerkennen das Grundgesetz und bekennen uns damit zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, und damit folgerichtig auch jeder Diskriminierung eine scharfe Absage erteilt.

Ich bitte Sie von ganzem Herzen, sich unserem Antrag anzuschließen und mit einer großen Mehrheit auch ein Signal in die Idsteiner Stadtgesellschaft zu senden.

Ursula Oestreich

Redebeitrag am 19.09.2024, Fraktionsvorsitzende, Unabhängige Liste